Für immer am Meer - Henry, V: Für immer am Meer
verbrachten. Harry wusste nicht, ob er sich wünschen sollte, dass sie gewann, damit er mit dem bestellten Sekt auf ihren Sieg anstoßen konnte, oder ob er beten sollte, dass sie verlor, damit er sich mit ihr auf das Zimmer zurückziehen konnte, um sie zu trösten. Wann war eine Frau williger: im Siegesrausch oder nach einer Niederlage? Na ja, er konnte die Entscheidung sowieso nicht beeinflussen. Aber er lächelte in sich hinein und dachte an das kleine Zimmer, das gar nicht weit entfernt auf sie wartete, und an den Sekt, der schon im Eisfach lag.
Als die Preisrichter zu ihnen kamen, trat Harry beiseite und überließ Florence das Reden. Ihm fiel auf, dass sie ausschließlich Marky Burns anschaute, wie sie kokett ihr Haar über die Schulter warf und ihm mit großen Augen ihr Konzept erläuterte.
»Ich wollte etwas betont Feminines schaffen«, sagte sie gerade. »Sandburgen sind meistens so maskulin, mit harten Linien und Kanten. Ich wollte etwas Weiches und Kurvenreiches, etwas, das man gern streicheln würde. Etwas … Weibliches.«
Die anderen Preisrichter nickten mit ernster Miene. Als sie sich abwandten, zwinkerte Florence Marky Burns zu. Er grinste. Ihre Botschaft war eindeutig. Harry drehte sich der Magen um. Er war der Einzige, der es gesehen hatte.
Er schaute zu Boden. Eigentlich könnte er jetzt gehen. Aber dann fiel Florence ihm plötzlich um den Hals. Sie duftete nach Sonnenmilch und dem Vanilleeis, das die Sponsoren allen Teilnehmern spendiert hatten. Ihm wurde ganz schwindlig.
»Du warst eine große Hilfe«, flüsterte sie. »Danke, danke, danke! Und wenn wir gewinnen, geb ich dir einen Sekt aus.« Sie drückte ihn fest.
Das besänftigte ihn. Vielleicht hatte sie nur so schamlos mit Marky Burns geflirtet, weil sie unbedingt gewinnen wollte? Er hoffte es, war sich aber nicht sicher. Das war auch ein ganz neues Gefühl. Er hatte sich gegenüber einem Mädchen noch nie so unsicher gefühlt. Noch nie hatte er Angst gehabt, das Objekt seiner Begierde könnte sich anderweitig umsehen. Noch nie hatte er eine derartige Wut auf einen anderen Mann gehabt, dass er ihn am liebsten niedergestochen hätte, so wie diesen Marky Burns mit seiner bescheuerten verspiegelten Brille und seinem albernen Cowboyhut.
Florence nahm aufgeregt seine Hand. »Sie haben sich entschieden! Guck mal, sie kommen zu uns!«
Die drei Preisrichter schlenderten in ihre Richtung, Marky Burns hielt das Siegerfähnchen in der Hand.
»Es könnte immer noch der Typ neben uns sein«, sagte Harry. »Entweder der oder wir.«
»Der gewinnt nicht. Keine Chance«, versicherte ihm Florence, und sie behielt recht.
Als Marky Burns das Fähnchen in den Turm des Dornröschenschlosses steckte, brach donnernder Applaus los, die Leute jubelten und pfiffen. Harry wollte Florence an sich drücken und ihr gratulieren, aber sie war bereits Marky Burns um den Hals gefallen. Die Kameraleute filmten die Szene aus nächster Nähe. Florence flüsterte Marky etwas ins Ohr, er hatte die Hände an ihren Rippen, direkt unter ihren Brüsten.
Harry wandte sich ab, er hatte einen bitteren Geschmack im Mund. Als er sich umdrehte, sah er, wie der Mann neben ihnen untröstlich seine Sandburg betrachtete. Es war nur ein ganz kurzer Moment, aber es reichte, um Harry ein schlechtes Gewissen zu machen. Wenn alles mit rechten Dingen zugegangen wäre, hätte dieser Mann bestimmt gewonnen. Sicher, es war ein Kopf-an-Kopf-Rennen gewesen, aber Florence hatte die Entscheidung mit weiblicher List zu ihren Gunsten entschieden. Er fühlte sich zum Kotzen.
Eine Frau kam zu dem Mann und nahm ihn an der Hand wie ein kleines Kind. Wahrscheinlich seine Mutter, wahrscheinlich war der Mann tatsächlich geistig zurückgeblieben, dachte Harry. Was Florence getan hatte, war einfach nicht recht.
Im nächsten Moment wäre er beinahe im Sand gelandet, als sie ihm um den Hals fiel.
»Wir haben gewonnen, Harry!«
Er spürte ihr Herzklopfen durch das dünne T-Shirt. Sie küsste ihn auf den Mund, und sofort waren alle Bedenken verflogen. Sie hatte also mit dem Preisrichter geflirtet, na und? So war das Leben nun mal. Ihm wurde heiß und sogar ein bisschen schwindlig, als sie ihn zu den Kameraleuten zerrte, die immer noch filmten.
»Das ist Harry«, sagte sie. »Wir sind seit Jahren befreundet. Ohne ihn hätte ich das nie geschafft.«
Am liebsten wäre er sofort mit ihr in das kleine Bed & Breakfast gegangen. Er sagte ihr, er hätte eine Überraschung für sie, aber sie wollte nichts davon
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