Für immer, Dein Dad
schnell auf den Spielplatz?», fragte Carla.
Ich öffnete meine Tüte. Immerhin war eine Maus aus weißer Schokolade drin. «Keine Lust heute. Lass uns einfach nach Hause gehen.»
«Hast du denn was vor?», fragte sie mit ungläubigem Blick.
Als ob Lois Bates jemals etwas Interessantes vorhätte.
Tja, meistens leider nicht.
«Und? Wie läuft’s mit deinem neuen Dad?», erkundigte sich Carla, den Mund voller Süßigkeiten.
Fast wären mir die weiße Maus und das Toffee, die ich gerade zerkaute, aus dem Mund geflogen, als ich schrie: «Er ist nicht mein Dad, Carla!»
«Sooorrryyy!» Sie zuckte mit den Schultern und zog eine Schnute, genau wie im Fernsehen. Carla war sicher das hübscheste Mädchen in ganz Charlton, nein, in ganz Süd-London, sogar mit kurzem Haar. Groß, schlank, immer die angesagtesten Klamotten, witzig, aber ziemlich nörgelig, wenn es mal nicht so lief, wie sie es wollte. Ich war erleichtert, als sie sich einen Dauerlutscher in den Mundschob, sodass ich sie mit dem neuesten Tratsch über Sharlene Rockingham ablenken konnte und mit dem Gerücht, dass Mrs. Codrington – unsere Biologielehrerin – früher ein Mann war.
Die Sonne brannte auf uns herab. Sie wärmte mich auf, und ich hätte schwören können, dass mein Dad bei mir war. Als wollte er mich drängen, nach Hause zu gehen, diese Plastiktüte aufzumachen und mich endlich meinem Alter entsprechend zu benehmen und nicht, als wäre ich noch im Kindergarten. Ich war jetzt schließlich ein großes Mädchen.
Fast
schon ein Teenager.
Und dann ging ich zu der Plastiktüte in meinem Schlafzimmer. Jetzt bekam ich doch Muffensausen. Mir wurde sogar ein bisschen übel, und die Tüte segelte auf den Boden.
Da war es.
Das Etwas, das mir mein Dad hinterlassen hatte.
Das komische grüne Buch starrte mich an.
Der Leitfaden
Ich schlug den Deckel auf und musste lächeln, als ich die erste Zeile las.
Das ist mein (Kevin Bates’) Leitfaden für meine Tochter Lois. Die größte Liebe meines Lebens.
Ich seufzte so tief, dass ich mir das Buch auf die Zehen fallen ließ. Der Schmerz warf mich rücklings auf mein ungemachtes Bett, direkt auf meinen einäugigen Teddy, und eine einzelne Träne lief aus meinem Auge wie der letzte Tropfen eines Wasserfalls. Ich musste schluchzen, nicht weil meineZehen wehtaten (und das taten sie), sondern weil ich nach all den Jahren endlich etwas von meinem Dad hörte.
Und gerade hatte er mir gesagt, dass er mich liebte.
Ich machte mir eine Tasse heiße Schokolade und stellte sie in sicherer Entfernung von dem Notizbuch direkt neben das Bild meines Vaters. Dann setzte ich mich sehr aufrecht aufs Bett. Das hätte Mum gefallen, schließlich kritisierte sie immer an meiner Haltung herum. Dann liefen mir schon wieder Tränen übers Gesicht. Ich rieb mir heftig die Augen, wischte den Rotz mit dem Handrücken weg und schniefte ein paar Mal. Zwischen zwei Schluchzern schaffte ich es, einen Blick auf die zweite Seite zu werfen.
Regeln für den Leitfaden:
Du darfst immer nur jeweils einen Eintrag lesen, und zwar an Deinem Geburtstag (von Deinem zwölften Lebensjahr an, bis Du dreißig bist).
Dieser Leitfaden ist nur für Dich und mich bestimmt.
Es ist verboten, für später gedachte Einträge vorweg zu lesen.
Du darfst aber frühere Einträge nochmals lesen. Das sollst Du sogar!
Ich habe mir wirklich Mühe gegeben, alles gut und richtig zu schreiben, aber falls Du hie und da einen Schreibfehler entdeckst, dann sorg dafür, dass Du ihn nicht in Deinen Hausaufgaben wiederholst, junge Dame!
Du wirst jedes Jahr aufs Neue feststellen, dass ich glaube, dass es dich interessieren wird, was mir in diesem Alter so passiert ist.
Du darfst in der Abteilung «Verschiedenes» lesen, wann immer Du willst – falls Du meinst, dass es Dir etwas bringt.Diese Abschnitte habe ich schlauerweise ganz an den Anfang gestellt, sodass Du gar nicht erst in Versuchung kommst, schon mal einen Blick auf die späteren Einträge zu werfen!
Hektisch blätterte ich um. Mein Herz klopfte wie rasend unter dem T-Shirt .
Hallo Liebling,
ich hoffe, Du hast es Dir irgendwo gemütlich gemacht.
Ich lehnte mich gegen das Kopfende meines Bettes und schubste den einäugigen Teddy zu Boden.
Eines muss ich Dir zuallererst sagen.
Es tut mir leid.
Es tut mir unglaublich leid, dass ich Dich verlassen musste. Das habe ich niemals gewollt. Du warst damals erst fünf Jahre alt, erinnerst Du Dich noch? Wahrscheinlich nicht, es
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