Für immer, Dein Dad
übers Gesicht zu streichen. Seine Körperwärme übertrug sich auf meine Fingerspitzen.
«Da wären wir also», sagte ich mit leicht rauer Stimme.
«Ja. Da wären wir.»
Eine unbekannte Leichtigkeit erfüllte mich. Mein ganzer Körper prickelte, als Corey seine Hand hob und mit seinem Zeigefinger meiner unregelmäßigen Augenbraue und dann meiner Nase folgte, bis er auf meiner Oberlippe angekommenwar. Mir wurde ziemlich warm in meinem Seidenkleid, und noch wärmer, als er näher zu mir rückte.
Ich schloss die Augen.
«Oh!», sagte er.
Ich riss die Augen auf. «Was ist?»
«Dieser blöde Manschettenknopf hat sich in dem Seidenstoff verhakt!»
«Im Ernst?»
«Beweg dich nicht, ich will nicht, dass dein Kleid reißt.»
Ich kicherte. «Seide und Manschettenknöpfe! So etwas hätten wir früher nie getragen, was?»
«Nein. Meine Lolli war ein halber Junge in ihren Jeans und ihrer Blousonjacke. Und ich hielt mich mit meinen umgekrempelten Schlabbercordhosen für cool!», sagte er und versuchte vorsichtig, den Manschettenknopf von dem Stoff zu lösen.
«Ich bin wieder frei!», rief ich jubelnd, als es ihm schließlich gelang.
«Nicht ganz», erwiderte er mit heiserer Stimme. Sein schönes Gesicht näherte sich meinem, und erneut schloss ich die Augen. Und wartete. Ich spürte seinen warmen Atem im Gesicht und unterdrückte ein Lächeln, während ich mich nach Coreys Kuss sehnte. Als nichts passierte, schlug ich die Augen wieder auf. Im gleichen Moment hauchte mir Corey einen Kuss auf die Stirn.
Er lächelte gequält. «Du kannst dir nicht vorstellen, wie gerne ich dich küssen würde», flüsterte er.
«Dann …»
«Aber ich kann nicht, Lolli. Es ist … es wäre nicht okay.»
«Es ist doch nur ein Kuss …»
«Bei uns ist es nie ‹nur ein Kuss›, Lolli. Es ist immer viel mehr. Jedenfalls für mich.»
Ich senkte den Blick.
«Ich bin mit jemandem zusammen, und es wäre ihr gegenüber nicht fair.»
«Ich weiß.» Sanft berührte ich mit den Lippen seine Stirn, die er nun voller Unbehagen runzelte, und öffnete den Mund, um etwas zu sagen. Doch dann überlegte ich es mir anders. Es waren keine Worte notwendig, denn es gab nichts weiter zu sagen. Und als wir so in dem Auto saßen, vor uns die Straßen unserer Kindheit, und uns an unsere harmlosen Spiele und naiven Träume erinnerten (ich würde Wissenschaftlerin werden, Corey Pilot), wurde mir klar, dass unsere Lebenswege voneinander wegführten. Vermutlich würden wir uns in Zukunft nur noch selten begegnen.
Jetzt waren wir wirklich erwachsen geworden.
Unser Lied
Kevin Bates’ Schatztruhe: Meine Frau und die Geburt meines wundervollen Mädchens haben mein Leben … vollendet.
An jedem Geburtstag nahm ich mir frei von der Arbeit – als eine Art Vorbereitung darauf, Dads Eintrag zu lesen. An diesem Ritual hatte ich niemals jemanden beteiligt und hatte es auch weiterhin nicht vor. Doch am Abend vor meinem fünfundzwanzigsten Geburtstag überfiel mich Mum mit dem Auftrag, den Babysitter für Abbi zu spielen. Sie lud die Kleine unangekündigt bei mir ab und meinte nur, sie habe «etwas Dringendes» zu erledigen. Fünfundzwanzig, das erschien mir als Wendepunkt, und ich war sicher, dass Dad das genauso sah. Es passte mir überhaupt nicht, dass Abbi bei mir war und ich ständig aufpassen musste, was sie mit ihren klebrigen Fingern anfasste.
«Deine Wohnung gefällt mir!», erklärte Abbi und spielte mit der Fernbedienung meiner Bang & Olufsen-Anlage herum. Vorsichtshalber legte ich den
Leitfaden
ganz oben auf das höchste Regal.
«Los, aufessen!», ermunterte ich sie später.
«Ich hasse Spaghetti!», beklagte sich Abbi, während sie mit der einen Hand die Nudeln samt Sauce in der näheren Umgebung ihres Tellers verteilte und mit der anderen ihre höchst lebensechte Puppe (die sie «Puppe» nannte) festhielt. Wenigstens waren die Tage des schmuddeligen Esels lange vorbei.
«Die sind doch lecker!», erwiderte ich. Irgendwo hatte ich gelesen, dass man nach einem Nudelgericht tief und fest schläft. «Sieh mal, Puppe mag sie auch!», sagte ich und zog die Puppe über den Tisch, bis sie mit ihrem Kopf über der Spaghetti-Schüssel hing.
Abbi lachte. «Du bist dumm!»
«Iss auf … nachher gibt’s noch Eis!»
Ungefähr um halb neun steckte ich Abbi ins Gästebett und holte den
Leitfaden
vom Regal. Ich konnte Mitternacht kaum abwarten. Immer noch war ich jedes Mal aufgeregt, wenn ich das grüne Buch aufschlug, das so gar nichts mit
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