Für immer, Deine Celia: Roman (German Edition)
zerfressen. Margaret redete noch immer davon, alles ungelesen zu vernichten. Aber Bud begann plötzlich zu verstehen. Endlich hatten sie Gelegenheit, die Vergangenheit zu begreifen, bevor sie ihnen vollends zu entgleiten drohte, Antworten – in der artikulierten Stimme der Großmutter – auf einige Fragen zu finden, die sie zu deren Lebzeiten hätten stellen müssen. Denn sosehr man auch einen anderen Menschen zu kennen glaubte, vieles war offengeblieben.
»Weißt du«, sagte Bud eindringlich zu ihrer Mutter, »das hier ist kostbar. Allein können wir das niemals durchsehen. O Mum, warum geben wir der Journalistin nicht das Okay? Gran hat es doch verdient, dass man sich an sie erinnert, oder?«
Dann geschah etwas Aufregendes. In der abgestandenen, staubigen Luft des Dachbodens raschelte mit einem Mal ein Windstoß in den Seiten eines aufgeschlagenen Notizbuchs. Für Bud konnte das nur eines bedeuten: Der Geist der Großmutter war noch lebendig und gab ihr zu verstehen, dass sie ihre Lebensgeschichte erzählt wissen wollte. Sie fröstelte unwillkürlich, warf einen Blick auf die Mutter und sah, dass auch sie die Bedeutung erkannt hatte.
»Ich glaube, du hast recht«, sagte Sarah. »Aber wenn ich ehrlich sein soll, möchte ich mit dieser Frau lieber nichts mehr zu tun haben. Es ist mir offen gestanden peinlich. Sie hat mich auf dem falschen Fuß erwischt. Ich habe ihr von Dad erzählt. Am besten sprichst du mit ihr, Liebling. Ich finde, hier oben zieht es.«
16
Ich arbeite effizient und gut. P. hat es mir gerade gesagt.
Wenn Liebling F. zu Hause ist, gebe ich mich
verträumt und ein wenig hilflos, denn er liebt
seine Autorität. Also respektieren wir ihn artig,
und die Kinder hören aufmerksam zu, wenn er spricht.
Und alles für die Liebe!
EINTRAG IM TAGEBUCH AM 5. NOVEMBER 1956.
Um halb neun Uhr morgens, als Celia, noch im Morgenmantel, für ihre Kinder Toast in Streifen, die sogenannten »Brot-Soldaten« schnitt, klingelte das Telefon. Die Anruferin war jemand, mit der sie längst nicht mehr gerechnet hatte.
»Wie geht es deinem göttlichen Ehemann?«, lautete Priscillas erste Frage nach einem Schwall aufgeregter Begrüßungen.
»Er ist nicht zu Hause«, erwiderte Celia. Sie legte eine Hand über die Sprechmuschel und kommandierte streng: »Mit Essen spielt man nicht. Esst jetzt!«
»Meine liebe Celia, ich möchte dich um einen großen Gefallen bitten.«
»Dann tu’s!« Celia hoffte, dass sich Priscilla kurzfasste, denn die dreijährige Margaret war plötzlich vom Tisch verschwunden. Und das konnte nur bedeuten, dass sie irgendeinen Unsinn anstellte. Am Vortag hatte sie eine Tüte Mehl in die Toilette gekippt und sich in der Woche davor eine Murmel in die Nase geschoben, sodass Celia mit allen drei Kindern im Auto ins Krankenhaus fahren musste. Bei Unfällen dieser Art war stets die gesamte Familie betroffen. Als vorübergehend alleinerziehende Mutter hatte man eine große Verantwortung.
»Ich wollte fragen, ob ich ein paar Tage bei dir unterkommen kann?«
»Aber natürlich!« Celia war hocherfreut. »Wenn dich die Kinder nicht stören!«
»Du bist ein Engel!«, erklärte Priscilla überschwänglich. Dann fragte sie ängstlich: »Wie viele sind es denn inzwischen? Ich hab den Überblick verloren.«
»Drei. Ich kann’s selbst kaum glauben. Robert ist jetzt schon fast neun Jahre alt; dann kommt Sarah und dann meine Kleine, Margaret.«
»Donnerwetter!«, sagte Priscilla. Und dann: »Oh, Celia! Es ist leider meine Schuld. Ich erkläre dir alles später.«
Die Überraschung stand Priscilla ins Gesicht geschrieben. Sie löste sich sanft aus der Umarmung.
»Mein Gott, Celia!«, rief sie aus und betrachtete die Freundin prüfend aus ihren klaren, grünen Augen. »Du bist ja erwachsen geworden!«
Was hat sie erwartet , dachte Celia amüsiert, denn seit jenem seltsamen, hektischen Mittagessen unmittelbar nach dem Krieg waren zehn Jahre vergangen. Sie war inzwischen eine vielbeschäftigte, selbstbewusste Mutter und glückliche Ehefrau, auch wenn Frederick selten zu Hause war.
Priscilla war so schlank geblieben, wie Celia sie in Erinnerung hatte, doch ihre Haut hatte ihre bezaubernde, mädchenhafte Strahlkraft verloren, was Priscilla unter einer dicken Schicht Make-up verbarg. Und statt der lässigen Arroganz von einst zeigte sie eine aufgesetzte Lebhaftigkeit, die nur aus Verzweiflung entstanden sein konnte.
»Das macht richtig Spaß! Wir tun uns keinen Zwang an!«, rief sie begeistert, als klar wurde,
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