Fuer immer mein - Mechthild Kaysers erster Fall
es, der wollte, das alles so ist, wie es war. Dass sie nur schön für ihn, ihn allein sein sollte. Dass sogar sein kleiner Sohn nicht daran teilhaben durfte. Dass sein Vater in seinem eigenen Sohn einen Nebenbuhler ausmachte, den es auszustechen galt. Aber Benjamin wusste, dass er zwar nicht mehr ganz klein, aber doch sicher nie und nimmer ein Mann war. Und er wollte seinem Vater nicht die Frau nehmen, er wollte nur eine richtige Mutter haben.
Sein Glück war Berta. Sie liebte ihn, das wusste er. Und sie kümmerte sich um ihn. Sprach mit ihm, sorgte sich und achtete auf ihn. Manchmal mehr als ihm lieb war. Alles wollte sie wissen. Manchmal quetschte sie ihn geradezu aus, um zu erfahren, mit wem er Umgang hatte, wer seine Freunde in der Schule waren, worüber sie sprachen und welche Pläne er für die Zukunft schmiedete. Manches war aber auch befremdend an ihr. Wenn er zum Vorlesen auf ihrem Schoß saß und sich gemütlich an ihren dicken Busen anlehnte, hielt sie das Märchenbuch nur mit einer Hand. Mit der anderen streichelte sie seinen Oberschenkel. Das war schön. Und aufregend. Sie war so warm. Und sie roch so gut. Aber ihr Streicheln war ihm auch nicht geheuer. Dennoch ließ er es über sich ergehen. Er war sich nicht ganz sicher, ob er sich falsch erinnerte, aber einmal, als er eine kurze Hose trug, dachte er, sie hätte seinen kleinen Schniedel berührt. Aber er wusste es nicht mehr so genau. Er war froh, dass er sich, wenn er es nötig hatte, in ihre Leibesfülle verkriechen konnte. Ohne sie konnte er in diesem Haus nicht überleben.
Der Abend war gekommen, und nachdem er den Nachmittag mit seiner neuen Carrera Autorennbahn verspielt hatte, war es Zeit für das Abendbrot. Im Esszimmer standen ein paar fertig geschmierte Brote für ihn bereit und wie immer ein Glas Milch.
Seine Mutter rannte seit geraumer Zeit aufgeregt durchs Haus. Während er noch vor dem Abendbrot spielte, sah er sie durch die geöffnete Kinderzimmertür zwischen Bade- und Ankleidezimmer in immer anderen Abendkleidern hin- und herrennen. Ab und zu hörte er die Stimme seines Vaters hinter ihr herrufen: „Nimm das blaue, das blaue sieht phantastisch aus!“ Oder kurze Zeit später: „Ja, das rote. Das rote ist es!“ An Vaters Stimme war zu hören, dass ihn das alles mehr als nervte. Dafür liebte Benjamin ihn.
Aber das änderte nichts. Aufgeregt probierte sie immer wieder andere Outfits an. Benjamin kannte diese Ritual. Fast jedes Wochenende wiederholte es sich. Sein Vater hatte ständig gesellschaftliche Verpflichtungen, und seine Mutter liebte sie. Es war Aufschwung in Deutschland, und seine Eltern waren dabei. Man zeigte, was man hatte.
Endlich war der Affentanz vorbei, und er wusste, was jetzt kommen würde. Seine Mutter eilte gehetzt zu ihm an den Tisch im Esszimmer. „Hier nimm! Das wird dir gut tun!“ sagte sie und reichte ihm wie immer, wenn sie am Wochenende ausgingen, diese Tablette.
Sie sah hinreißend aus. Sie trug ein bodenlanges, rotes, mit Pailletten besetztes Kleid mit einem tiefen Ausschnitt. Ihr Busen schien gewachsen zu sein, denn wie nie zuvor wölbte er sich oben über den Saum des Ausschnitts. Benjamin stellte fest, dass sie etwas Glitzerndes auf ihr Dekolleté gepudert hatte. Oh ja, sie war wunderschön.
Er sprang von seinem Stuhl auf und wollte sie in die Arme nehmen. Aber sie ergriff ihn bei den Schultern und hielt ihn sich vom Leib. „Nein, nein! Du machst alles nur kaputt!“ herrschte sie ihn an und drückte ihm die Tablette in den Mund. „Los jetzt. Wir haben keine Zeit mehr. Wir kommen sowieso schon zu spät!“
Widerwillig griff er zu seiner Milch und spülte die Tablette runter. Sie wartete, bis er die Schlaftablette hinuntergeschluckt hatte, und eilte dann aus dem Raum. Benjamin hörte noch seinen Vater etwas Unverständliches rufen, und dann schlug die Haustür zu. Vielleicht hatte er ihm jetzt doch noch zum Geburtstag gratuliert. Und er hatte es nur nicht richtig verstanden.
Abrupt war Stille im Haus.
Er stand regungslos neben dem Esstisch, und ein ungutes Gefühl überkam ihn. Er kannte nicht den Grund, aber immer, wenn seine Eltern auf ihre Partys gingen, war er irgendwie beunruhigt. So als stünde ihm etwas bevor, weil sie ihn im Stich gelassen hatten. Er wusste es nicht genau.
Berta kam ins Esszimmer und mahnte ihn, seine warme Milch auszutrinken. Obwohl sie ihm sonst sehr zugetan war und so manches Mal entgegen der Weisung seiner Eltern am Abend noch Fernsehen gestattete –
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