Fuer immer mein - Mechthild Kaysers erster Fall
äußerst versiert als Leiterin der Mordkommission berufen.
Die beiden Frauen schlenderten eingehakt und leichtfüßig den Dobben hinunter und standen nun vor dem Cinema. In einer halben Stunde lief ein Film über ein klarinettespielendes Mädchen, das taubstumme Eltern hatte. Die Problematik des Films gefiel den beiden, und sie kauften Eintrittskarten. Die Zeit bis zum Beginn des Films verbrachten sie im zum Kino gehörenden Café und plauschten mit Carola, der Besitzerin.
Benjamin lag auf seinem Bett und starrte an die Decke.
Das Hühnerfrikassee lag ihm schwer im Magen. Aber das hatte er auch so gewollt, und er fühlte sich wohl damit. Nach der dritten Portion hielt ihn seine Mutter zur Mäßigung an, doch zu diesem Zeitpunkt hatte er sowieso schon genug.
Jetzt auf dem Bett zu liegen und der Verdauung Zeit zu verschaffen, war schon die richtige Entscheidung gewesen. Allerdings war diese Ruhezeit nicht auf seine Völlerei zurückzuführen, sondern auf die unsägliche Anordnung seiner Mutter, dass von Mittag bis drei Uhr nachmittags Ruhe im Hause zu herrschen habe. Er wusste, dass Kleinkinder mittags ihren Schlaf brauchten. Aber er war zwölf Jahre alt, und ihm war klar, so wie es ihm sein Innerstes sagte, dass er jetzt eigentlich draußen toben wollte und müsste. Gleichermaßen war ihm dadurch klargeworden, dass seine Mutter diese Regel aufrechterhielt, um sich nicht mit ihm beschäftigen zu müssen. Er hatte mehrfach Versuche unternommen, sie dafür zu begeistern, mit ihm etwas zu unternehmen. Aber alle Versuche scheiterten. Irgendwann hatte sich ihm erschlossen, dass sie nichts mit ihm anzufangen wusste. Ja sogar, dass er ihr im Wege stand.
Es war ihm leichter gefallen zu akzeptieren, dass sein Vater nicht erreichbar war, da ihn seine Fabrik so beschäftigte, dass er für nichts anderes Zeit hatte. Aber im Urlaub, wenn sich die Fabrik nur beizeiten einmal per Fax oder mit einem Anruf meldete, nahm er sich die Zeit, mit ihm auf Nachtwanderungen zu gehen, Hirsche im Morgengrauen zu beobachten oder einfach nur mit ihm zu schwimmen oder Tennis zu spielen. Dann fühlte er, dass sein Vater ihm verbunden war. Sie kamen sich zwar nicht wirklich nahe, aber er spürte, dass sich sein Vater dies sehr wohl wünschte und wollte − wenn er es aus welchen Gründen auch immer, nicht wirklich zustande brachte. So konzentrierten sich seine Bedürfnisse nach Liebe und körperlichen Kontakt anfangs auf seine Mutter, die ja nicht arbeiten musste und eigentlich immer zu Hause war. Aber sie konnte oder wollte einfach nichts mit ihm anfangen. Wenn er sie berührte, wurde sie steif. Nichts Weiches oder Gemütliches war an ihr.
Je größer er wurde, desto offensichtlicher wehrte sie ihn ab. Sie vermittelte ihm das Gefühl, dass es unanständig war, sich körperlich nahe zu kommen. Aber er ließ nicht locker. Er konnte sich nicht vorstellen, dass seine eigene Mutter ihn nicht wollen würde. Je häufiger sie ihn zurückstieß, desto größer wurden seine Anstrengungen, ihr seine Liebe zu zeigen und ihr zu gefallen. Aber alles blieb ohne Erfolg. Es musste irgendwie auch an ihm liegen.
Also änderte er sein Verhalten und hielt sich von ihr fern. In der Hoffnung, dass dies der Weg zur Liebe seiner Mutter sein könnte, begann er sich schweren Herzens nicht mehr um sie zu kümmern. Es bereitete ihm große Qualen, obwohl es genau das zu sein schien, was sie von ihm erwartete. Aber sie beantwortete sein Verhalten nicht mit der von ihm erwarteten plötzlich aufflammenden Zuneigung, dem Bewusstsein, dass sie Versäumnisse zugelassen hatte, sondern sie genoss die Entfernung.
Irgendwann war sie ihm fremd geworden. Zeitweise empfand er sie wie Besuch im Haus. Das Einzige, was er sicher wusste, war, dass er sie wollte. Er liebte sie, und in seinen Träumen wollte er sie immer um sich haben. Sie sollte ständig für ihn erreichbar sein und nur darauf warten, dass er zu ihr kam, um ihn dann erleichtert in die Arme zu nehmen, weil sie schon dachte, er würde sie verschmähen. Aber sie beschäftigte sich nur mit sich selbst. Das war die schreckliche Wahrheit. Der Erhalt ihrer Schönheit war ihr wichtig. Dafür tat sie alles. Fitness-Studio, Kosmetikerin, Frisör. Immer die elegantesten Klamotten. Sie hatte eine schlanke, tolle Figur, schöne, blonde Haare. Ihre Zähne blitzten, wenn sie ihr hollywoodreifes Lachen in die Welt jagte. Andere Männer beneideten seinen Vater um sie.
Vielleicht steckte ja er hinter all dieser Qual. Vielleicht war er
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