Fuer immer mein - Mechthild Kaysers erster Fall
ihm, und dann nahm er ihn seit Jahren zum erstenmal in den Arm. Er versuchte es zumindest. Für Benjamin war dies ein völlig ungewohntes Berühren, ein Gefühl durchzog ihn, das ihn mehr erstarren ließ als Wärme zu empfinden. Sein Vater quälte eine Entschuldigung zwischen seinen Lippen hervor, ließ ihn dann abrupt stehen und ging. Er konnte wohl selber mit dieser Geste nichts anfangen. Benjamin schob den Koffer seines Vaters unters Bett. Jetzt bloß nicht auch noch irgendwelche alten Liebesbriefe seiner Eltern oder Glückwunschkarten zu seiner Geburt lesen.
Zwei Tage später erhielt Benjamin überraschend Besuch von einem Polizisten, der ihm gelangweilt darüber informierte, dass sich sein Vater auf dem Autobahnparkplatz in Mahndorf erschossen hatte. Kein Verlust für die Gesellschaft, sagte der Polizist. Eben das Ende einer kriminellen Unternehmerkarriere. Dann ging er wieder. Da Benjamins Vater aufgrund seiner Fingerabdrücke zweifelsfrei identifiziert werden konnte, brauchte er ihn sich auch nicht in der Gerichtsmedizin anzusehen.
Anschließend saß Benjamin stundenlang am Fenster im zwölften Stock seines Hochhauses und starrte über die Stadt. Jetzt waren sie wirklich alle weg. Berta, die ihn nur benutzt hatte. Seine Mutter, die er innig geliebt und die ihn einfach im Stich gelassen hatte. Und nun sein Vater, der sich mit einem Schuss in den Kopf davongemacht hatte. Verluste war er sein ganzes Leben nun schon gewöhnt. Sie sollten ihn nicht mehr erschüttern. Sein Leben war nicht von Glück bestimmt; sein Wegbegleiter war das Leid. Das war ihm nun endgültig klargeworden. Und noch etwas anderes: Er wollte sein Leid nicht in sich hineinfressen. Er würde eines Tages davon etwas an alle zurückgeben. Er würde sich rächen.
Wut und die Lust zu töten stiegen zum ersten Mal in ihm hoch. Er fühlte sich stark, unglaublich stark, und war sicher, dass sich ihm niemand erfolgreich in den Weg stellen konnte. Wenn diese Wut losbrach, gab es für keinen ein Entrinnen. Mit einem aggressiven Ruck zog er den Koffer seines Vater unter dem Bett hervor. Sollte ihm doch ruhig noch etwas auf die geschundene Seele treten, dachte er aufgebracht. Er öffnete den Koffer und war völlig überrascht. Zu seinem Erstaunen lagen darin nicht irgendwelche Briefe und Ansichtskarten, sondern er war prall gefüllt mit Geldscheinen. Er klappte ungerührt den Koffer wieder zu. Dieses Geld wollte er nicht.
Am nächsten Tag mietete er ein großes Schließfach bei einer Bank auf dem Domshof und verstaute den Koffer dort.
Die einzelnen Berichte lagen bereit zur Verteilung auf dem Besprechungstisch der Mordkommission. Lediglich KHK Roder konnte noch nichts für alle kopieren, da er gerade erst direkt aus der Gerichtsmedizin gekommen war und mündlich berichten wollte.
Ayse Günher begann und erläuterte die Aussage von Thomas Brandt, dem Partyveranstalter, dem zuzutrauen war, dass er seine Veranstaltung „Tanz auf der Leiche“ genannt haben würde, wenn er von der Toten gewusst hätte. Alle anderen am Fundort Anwesenden waren bis jetzt eindeutig unverdächtig. Auch die personenbezogene EDV-Recherche hatte nichts zutage gebracht. Ayse erwähnte sicherheitshalber – den Hinweis ihrer Chefin nicht vergessend –, dass eine Beziehung Brandts zur Toten, ebenso wie bei den anderen, natürlich nicht ausgeschlossen werden konnte. Nach ihrer Identifizierung könnte sich noch einiges ergeben.
Heller machte es kurz und knapp. Der Immobilienmakler, der mit dem Verkauf der Halle beauftragt war, hatte diese schon lange nicht mehr in Augenschein genommen. Bis er Thomas Brandt das Gebäude für ein Wochenende vermietete. Heller erklärte, dass es dem Makler ziemlich unangenehm war, der Polizei Auskünfte zu geben, und vermutete, dass er die Miete von Brandt wahrscheinlich selbst in die Tasche gesteckt hatte, ohne die Eigentümer zu beteiligen.
Wenigstens stellte sich heraus, dass die Aussagen von Brandt mit denen des Maklers übereinstimmten. Und beide hatten bei ihrem Besichtigungstermin vor vier Wochen keine offene Grube mehr in Erinnerung.
„Das bedeutet, dass die Frau mindestens schon vier Wochen verschwunden sein muss“, stellte Mechthild Kayser fest und teilte das negative Ergebnis ihrer ersten Recherche in der Vermisstendatei mit. Dann erteile sie Roder das Wort.
KHK Roder sprach in einer kühlen, distanzierten, aber konzentrierten Art, die nicht ein einziges Anzeichen einer Gefühlsregung erkennen ließ. Er spulte die nackten Fakten, die
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