Fuer immer und einen Tag
war sie bereit, es wieder mit der Welt aufzunehmen. Sie setzte sich gerade hin und schniefte schamlos, bis ihre Mutter ihr mit stummem Tadel ein Papiertaschentuch reichte.
»Ich schätze, daran muss ich mich jetzt wieder gewöhnen«, sagte Emma. »Bemuttert zu werden.«
»Bemuttert, aber nicht bevormundet«, versicherte Meg ihr. »Ich weiÃ, dass ich kein Recht hatte, mich einzumischen und eigenmächtig Pläne zu machen, ohne mit dir darüber zu sprechen. Du bist nicht mehr die verängstigte junge Frau von vor vier Jahren. Du bist alt genug und vor allem erfahren genug, dass ich dir nicht mehr zu sagen brauche, was du tun sollst. Ich verspreche dir, dir mehr Raum zu geben.«
»Leichter gesagt als getan in deiner Wohnung«, entgegnete Emma und dachte an die Zeit zurück, die sie bereits dort verbracht hatte. Es waren nicht die angenehmsten Erinnerungen. Meg wohnte in einer modernen, zentrumsnahen Dreizimmerwohnung mit Blick auf den Fluss Mersey, die sie nach ihrer Scheidung vor sieben Jahren gekauft hatte. Damals hatte Emma ihr eigenes Leben in London geführt und Louise an der Uni studiert, so dass die Wohnung für Megs Bedürfnisse vollkommen ausreichend war, wie sie dachte.
Ihrer Mutter zuliebe versuchte Emma ein klägliches Lächeln, doch nicht einmal das gelang ihr richtig. »Und wie hat Louise die Nachricht aufgenommen?«
»Sie will tun, was sie kann, um dir zu helfen«, antwortete Meg.
»Sie hat nichts dagegen auszuziehen? Kann sie denn woanders unterkommen?«
»Es ist alles in die Wege geleitet. Ally und Gina schaffen am Wochenende den GroÃteil deiner Sachen in die Wohnung, damit du sie am Montag gleich hast.«
Emma lieà sich resigniert in die Kissen zurückfallen, wobei eine Ecke des Laptops gegen ihren Oberschenkel drückte, als wollte er auf sich aufmerksam machen. Sie hatte keine Kontrolle mehr über ihr eigenes Schicksal und sehnte sich danach, sie wiederzuerlangen.
Ich rannte durch den Flur, als wären sämtliche Höllenhunde hinter mir her, getrieben von dem überwältigenden Wunsch, aus dem Krankenhaus herauszukommen. Als ich die Glastür am Ausgang aufstieÃ, war es, als würde ich eine Ziellinie überqueren. Ich hatte es geschafft. Endlich konnte ich aufhören zu laufen.
Kaum schlug mir die kühle, frische Luft drauÃen entgegen, blieb ich stehen. Die Sonne war verschwunden, und der Himmel wirkte bleiern, aber das konnte meine Stimmung nicht trüben. Ich blickte auf die Terminkarte mit ihren Eselsohren herunter, die ich noch in der Hand hielt. Die Liste der Arzttermine darauf steckte meinen Weg durch die Krankenhausflure im Laufe der Jahre ab; der letzte Eintrag war heute, und danach, tja, nichts mehr. Keine Termine mehr, kein einziger. Der bitterkalte Novemberwind blies mir ins Gesicht, und meine Jacke flatterte um mich herum, aber ich stand ruhig und aufrecht da. Nach einem tiefen, reinigenden Atemzug fühlte ich mich freier um die Brust. Die Angst, die ich so lange mit mir herumgeschleppt hatte, war endlich von mir abgefallen. Jetzt kann ich es mit allem aufnehmen, sagte ich mir, während ich die Karte mit den Terminen in kleine Fetzen zerriss.
Die Versuchung überkam mich, die Stückchen in die Luft zu werfen, den Konfettiregen einer Siegerin auf mich niedergehen zu lassen, aber ich war noch nicht ganz bereit, alle Bedenken in den Wind zu schlagen. Es würde ein Weilchen dauern, mich an dieses neue Gefühl der Freiheit zu gewöhnen. Ich versuchte, mich an die Zeit zu erinnern, bevor der Krebs in mein Leben eingebrochen war. Früher war ich selbstsicher und unbeschwert gewesen ⦠oder?
Mit einem Sack voller Träume war ich von zu Hause weggegangen, um zu studieren. Frisch von der Universität war ich nach London gezogen, wo ich es im Gegensatz zu vielen meiner Altersgenossen gleich gut getroffen hatte. Eine groÃe PR- und Marketingagentur mit Niederlassungen auf der ganzen Welt und unglaublichen Karriereaussichten hatte mich eingestellt, und schon bald begann ich die Erfolgsleiter hinaufzuklettern. Ich liebte neue Herausforderungen und wusste von Anfang an, dass mir der Beruf lag. Dann aber tauchten die ersten Symptome auf. Wahnsinnige Kopfschmerzen und verschwommenes Sehen erschwerten mir das Arbeiten, bis die Diagnose eines Hirntumors es vollends unmöglich machte. Ich war gezwungen, meinen Traumjob sausen zu lassen und nach Hause zurückzukehren.
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