Für immer untot
Hals. Mircea blieb stehen und tropfte einige Meter entfernt.
»Du wünschst dir offenbar einen überaus schmerzvollen Tod, Magier«, sagte er, und seine Worte klangen sehr glaubhaft, obwohl Dreck aus dem Fluss an ihm klebte. Die Kugel war ihm beim Sprung ins Wasser aus der Hand gefallen, über die Straße gerollt und bei einem großen Pflasterstein liegen geblieben. Soweit ich das im Halbdunkel feststellen konnte, war er bis auf einige scheußlich aussehende Brandflecken an der Brust unverletzt. Das machte mich nicht weniger wütend auf Pritkin.
Ich zappelte und scherte mich nicht darum, dass dies ein anderer Mann war als jener, der mir schon einmal ein Messer an den Hals gehalten hatte. Dieser Pritkin nahm zu Recht an, dass ich ihm etwas wegnehmen wollte. »Sind Sie übergeschnappt? Sie hätten ihn töten können!« Von meiner Seite her gab es keinen Grund für übertriebene Vertrautheit mit diesem Mann, weswegen ich ihn wieder siezte.
»Und vielleicht kann ich das noch immer. Ich habe dich gewarnt. Wenn du die Warnung in den Wind schlägst, muss und werde ich zu anderen Mitteln greifen.«
»Sind Sie wirklich bereit, zwei Personen wegen eines dummen Zaubers zu töten? Bei Gott… «
»Gott rufst du an?« Die Messerspitze drückte noch etwas fester zu, und ein weiterer Tropfen lief mir über den Hals. Noch beunruhigender waren Mirceas Augen, die bernsteinfarben glühten, und zwar heller als unser Laternenersatz.
Er war sauer, und das verhieß nichts Gutes.
Mircea verlor nur selten die Beherrschung, aber wenn das geschah, konnte er ziemlich unangenehm werden. Ich hatte es schon zweimal erlebt, und das reichte mir. Außerdem: Pritkin durfte an diesem Abend nicht sterben. Diese beiden Männer wussten es noch nicht, aber eines Tages würden sie zusammenarbeiten und Beeindruckendes leisten. Ich brauchte den Codex, doch mein Leben hing davon ab, dass sie noch am Leben waren, wenn sich der Staub legte.
»Hören Sie mir zu«, sagte ich und sprach in einem drängenden Tonfall. »Wir lassen Sie in Ruhe. Sie können das verdammte Buch behalten. Wir brauchen nur einen Zauber daraus. Geben Sie ihn uns, und Sie können gehen.«
»Ein Zauber«, sagte Pritkin langsam und wich mit mir zurück. Ich wusste nicht, was er sich davon versprach. Mircea war so schnell, dass einige Meter mehr oder weniger keine Rolle spielten. »Und welchen meinst du?«
Ich hätte es ihm gern gesagt, aber inzwischen drückte das Messer an meinem Hals so stark zu, dass ich befürchtete, das nächste Wort könnte mein letztes sein.
»Lass sie los, Magier«, sagte Mircea gefährlich leise. »Dann erlaube ich dir vielleicht, deine Strafe zu überleben.«
»Und wenn du aufhörst, an meinen Fersen zu kleben, gebe ich sie vielleicht frei, wenn mein Werk vollbracht ist«, erwiderte Pritkin. Er klang ruhig, aber ich fühlte, wie schnell sein Herz schlug. Mircea setzte zu einer Erwiderung an, doch Pritkin ließ ihn nicht zu Wort kommen. Er hob die Hand, als wollte er etwas in der leeren Luft ergreifen, und die Nacht riss auf wie eine Wunde: ein pulsierendes Rot in der Dunkelheit. Mircea sprang, aber es war schon zu spät. Die Ley-Linie packte Pritkin und mich und trug uns fort.
Einen Moment später spuckte uns die rasende Strömung auf etwas, das sich wie eine unbefestigte Straße anfühlte, doch bevor ich Einzelheiten der Umgebung erkennen konnte, nahmen wir eine andere Linie, diesmal eine blaue, und waren wieder unterwegs. Ich verlor schnell die Übersicht über all die Ley-Linien, die uns mit sich rissen. Ihre Farben gingen ineinander über: blau, weiß, violett, zurück zu blau und dann wieder rot. Es war eine wesentlich turbulentere Reise als die mit dem Schild der Kaiserin, und meistens stolperte ich nur einige Schritte, bevor es weiterging.
Meinen Augen blieb gar keine Zeit, sich anzupassen, doch die anderen Sinne empfingen bei jedem Zwischenstopp vage Eindrücke: der beißende Geruch von verfaulendem Seetang und das Krächzen von Möwen; der Geruch von Dung und das Blöken von Schafen; die Hitze eines geschlossenen Raums und der Geruch von verschüttetem Wein. Wir hatten gerade diesen Raum erreicht, offenbar einen Keller unter einer Schenke, und vor meinen Augen tanzten noch Nachbilder von den anderen Orten, als es donnerte, rot blitzte und Mircea aus dem Nichts trat.
Pritkin fluchte, und ein Feuerball erschien vor uns. Ich schrie, Mircea duckte sich, und der Feuerball explodierte – gegen die Kugel, die sein eigentliches Ziel war. Aus
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