Für immer untot
ins Handwerk pfuschte, hatte er Casanova angewiesen, mir zu helfen, ohne allerdings Einzelheiten zu nennen. Demzufolge führte Casanovas »Hilfe« dazu, dass ich Aushilfsjobs bekam, für die ich noch keinen verdammten Cent gesehen hatte.
Aber solange Pritkin keine Spur fand, mit der wir wirklich etwas anfangen konnten, blieb mir kaum etwas anderes zu tun. Abgesehen davon, immer wieder auf die Uhr zu schauen und mich zu fragen, wie viele Sekunden der Freiheit mir noch blieben. Es half, beschäftigt zu sein. Zumindest ein bisschen.
Und Casanova hatte recht wegen der Klamotten. Meine glänzenden PVC-Shorts und das ärmellose Oberteil versteckten nicht viel, doch mit ordentlich Schminke und einer langen schwarzen Perücke erkannte ich mein rotblondes, blauäugiges Selbst kaum wieder.
Ich hantierte mit dem Schrumpfkopf, gab mich lässig-locker und hoffte, dass meine Verkleidung ihren Zweck erfüllte.
»Eine Daumenschraube?«, entfuhr es dem neben mir sitzenden Mann. Er legte die Getränkekarte auf die Theke. »Was zur Hölle ist das denn?«
»Sie sind hier nicht in der Hölle«, erwiderte der Barkeeper. »Im Purgatorium essen und trinken die Seelen nichts.«
»Was machen sie dann?«
»Sie leiden.« Die Kerkermeister-Aufmachung des Barkeepers – nackte Brust, Henkerkapuze und Nietenmanschetten – hätte das eigentlich klarmachen sollen, fand ich. Einen weiteren Hinweis boten die verschiedenen Folterwerkzeuge, die als Wandschmuck dienten.
»Ich leide bereits – an Durst!«, klagte der Tourist. »Mit ›Daumenschraube‹ ist ein Screwdriver gemeint«, erklärte ich hilfsbereit.
»Meine Güte, danke, Elvira. Muss man hier erst ein Rätsel lösen, bevor man einen Drink bestellen kann?«
»So schwer ist das gar nicht«, sagte der Barkeeper geduldig und stellte einen brennenden Cocktail vor einen anderen Gast. »Ein Lyncher ist eine Lynchburg-Limo, eine Eiserne Jungfrau ist ein Old Fashioned, ein…«
»Ich möchte nur eine Bloody Mary! Haben Sie so was?«
»Ja.«
»Und wie heißt sie hier?«
»Bloody Mary.«
Der Vampir war neben mir stehen geblieben. »Das mit deiner Tarnung klappt nicht«, sagte ich zu ihm. Ich war auf keinen Fall bereit, es mir anders zu überlegen. Vampire verdienten ganz allgemein kein Vertrauen, aber im Vergleich zum Senat stand der durchschnittliche Vampir wie ein Musterbeispiel für Tugend da.
»Das habe ich dir die ganze Zeit klarzumachen versucht«, sagte der Schrumpfkopf verärgert. Er hatte da offenbar etwas falsch verstanden. »Das ist schrecklich!«
Ich legte das undankbare Ding wieder auf den Aschenbecher und wandte mich dem ungebetenen Gast zu. »Warum also die Mühe mit der Verkleidung?
Dachten Sie vielleicht, ich würde Sie nicht als das erkennen, was Sie sind?«
»Die Verkleidung war nicht für dich bestimmt«, sagte der Vampir und schlug die Kapuze zurück.
Zwei dunkelbraune Augen sahen mich an. Ihre Farbe war so weich und vertraut wie abgetragenes Wildleder. Nur der Schmerz in ihnen war neu. »Rafe?«, entfuhr es mir erstaunt.
Er wankte gegen die Theke und hielt sich den Bauch, als hätte ihn dort ein Faustschlag getroffen. Ich rutschte von meinem Barhocker herunter, half ihm darauf und spürte, wie er trotz des dicken Wollmantels zitterte. Draußen war es brütend heiß – die Hitze des Juni lag über Las Vegas –, doch Rafe war so vermummt, als erwartete er einen Schneesturm. Ich kannte ihn seit vielen Jahren und hatte ihn noch nie in einem so schlechten Zustand gesehen.
Wir waren uns am Hof des Vampirs begegnet, der ihn verwandelt hatte – Antonio beziehungsweise Tony. Von ihm hatte Rafe den Auftrag erhalten, mein Schlafzimmer mit Malereien zu schmücken, als ich ein Kind gewesen war. Ich bezweifelte, ob Tony seiner heranwachsenden Hellseherin damit hatte einen Gefallen tun wollen. Es entsprach seinem verschrobenen Sinn für Humor, dem größten Künstler der Renaissance die einfachste Arbeit zu geben, die er finden konnte. Aber es hatte Raffael Spaß gemacht, und während er über Monate hinweg Engel, Sterne und Wolken an die Decke meines Schlafzimmers malte, waren wir Freunde geworden. Ihm verdanke ich, dass es einigermaßen erträglich gewesen war, bei Tony aufzuwachsen.
Rafes Lippen waren kalt, als er mir einen kurzen Kuss gab, und seine Hände fühlten sich an wie Eis. Ich wärmte sie in meinen, und die Sorge in mir wuchs.
Er sollte nicht kalt sein. Vampire waren so warm wie Menschen, es sei denn, sie hatten großen Hunger, und das sollte eigentlich
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