Für immer zwischen Schatten und Licht ("Schatten und Licht"-Saga 2) (German Edition)
die wir Ihnen ungern hier draußen erzählen würden“, mischte sich Rasmus ein. Er hatte dieses besondere Lächeln aufgesetzt, mit dem er die Frau an der Essensausgabe regelmäßig dazu brachte, einen extragroßen Nachtisch herauszurücken. Ob es nun daran lag oder einfach an ihrer puren Neugierde – jedenfalls zog Dina die Tür noch ein Stück weiter auf.
„Kommt herein, wenn es sein muss. Aber fasst ni…“ Irgendetwas klirrte, kaum dass Jinxy an ihr vorbei in den Flur gesaust war.
„Nichts passiert!“, flötete meine Freundin, während sie sich bereits auf dem Weg ins nächste Zimmer befand. Dina seufzte, dann eilte sie hinterher. Wir drängten uns zu sechst in den Raum, der so mit seltsamen Gegenständen vollgestopft war, dass für mehr als zwei Menschen eigentlich nicht genug Platz blieb. Alle Wände waren mit überquellenden Regalen verkleidet, in der Mitte gab es ein paar zusammengewürfelte Stühle und einen Tisch, auf dem ein samtenes Tuch sowie Karten- und Bücherstapel lagen. Über allem schwebte ein süßer, leicht muffiger Geruch, vermutlich von Räucherstäbchen, und kitzelte mich in der Nase.
Jinxys Augen waren überall zugleich. Während sie herumhüpfte und die Regale durchstöberte, hatte ich eine Vision von ihr in ein paar Jahrzehnten – sie passte wirklich erschreckend gut hierher.
„Was ist denn das?“, fragte sie aufgeregt und befingerte eine hölzerne Tafel mit eingravierten Buchstaben.
Dina bedeutete uns, Platz zu nehmen, ehe sie sich Jinxy widmete. „Man nennt das Ouija-Brett und benötigt es für Séancen.“
„Cool! Und was ist das?“ Meine Freundin zeigte auf einen dreißig Zentimeter langen, spitz zulaufenden Metallpfeiler, der über und über mit Hieroglyphen bedeckt war.
„Das ist ein antiker Obelisk, ein Verbindungssymbol zwischen der irdischen und der Götterwelt.“
„Wow … und das da?“
„Ein Fusselroller.“ Irritiert nahm die Wahrsagerin ihr das Ding aus der Hand und wandte sich dann uns anderen zu. „Wollt ihr mir nicht endlich meine Frage beantworten?“
Sam, der sich in einen hohen Lehnsessel geworfen hatte, streckte lässig die Beine aus. „Wir haben das Buch einfach gefunden, alles klar?“
„Lüge!“ Das Wort kam heraus wie ein Fauchen. Dinas Augen schienen Blitze zu schleudern, ihr ganzer Körper vibrierte sichtbar vor Wut.
Abrupt hatte Sam die Beine eingezogen und saß nun stocksteif in seinem Sessel. „Okay, nur die Ruhe“, sagte er schnell, die Hände beschwichtigend erhoben. „Wir wollen ja keinen Herzinfarkt riskieren. Bei mir.“
Immer noch starrte ihn die Wahrsagerin zornentbrannt an, als Rasmus, der zuvor seltsam abwesend gewirkt hatte, den Kopf hob. „Das Buch stammt aus einer Bibliothek in unserer … alten Heimat“, sagte er. „Doch das wussten Sie bereits, nicht wahr?“
Dina musterte ihn forschend, aber ich hatte den Eindruck, als sei das irre Flackern aus ihren Augen verschwunden. Nach einer Weile nickte sie. „Ich sehe, dir kann man nichts vormachen.“
Nur ich bemerkte, dass diese Antwort etwas in Rasmus auslöste. Er gab sich unverändert ruhig, aber seine Hand hielt meine ganz fest. „Wie lange?“, fragte er, ohne auf die fragenden Mienen um ihn herum zu achten.
Der faltige Mund verzog sich zu einem Lächeln. „Es sind schon bald siebzig Menschenjahre“, erwiderte Dina, „dreiundsechzig davon schön.“
„Moment mal“, schaltete sich Serafina dazwischen. Anders als Jinxy, Sam und ich schaute sie nicht mehr bloß verwirrt drein, sondern völlig fassungslos. „Wenn Sie von Menschenjahren sprechen – soll das bedeuten, was Sie vorher erlebt haben, waren …“
„Lichtjahre“, vollendete Dina mit einem Anflug von Belustigung den Satz. „Wenn man es so ausdrücken will.“
Niemand antwortete. Besonders Sam und Serafina saßen da wie vom Donner gerührt, während sich Rasmus‘ Griff um meine Hand allmählich lockerte. Eine Erinnerung blitzte in mir auf: der dunkelhaarige Mann im Licht, der erzählt hatte, bisher seien fast alle abtrünnigen Engel wieder zurückgelockt worden. Auf einmal wusste ich auch, an wen mich Dina erinnerte – mit ihren hohen Wangenknochen und den schrägstehenden Augen war sie ein verwittertes Abbild der Richterin.
„Das ist absurd“, sagte Serafina, nachdem sie wohl zu demselben Schluss gekommen war wie ich. „In Raziels Fall … vielleicht … aber wenn Sie zu den Ältesten des Lichts gehört haben, wie konnten Sie das alles hierfür aufgeben?“ Sie machte eine
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