Für immer zwischen Schatten und Licht ("Schatten und Licht"-Saga 2) (German Edition)
Handbewegung, die das ganze schäbige Wohnzimmer mit einschloss.
Dina lächelte nun nicht mehr; der Blick, mit dem sie Serafina bedachte, war eiskalt. „Das ist nichts, was ich dir rational erklären könnte. Aber ich habe länger gelebt, als irgendjemand leben sollte, und doch sind es nur die letzten knapp siebzig Jahre, an die ich mich gestochen scharf erinnern kann. Was vorher war, ist für mich nur ein unendlicher, bedeutungsloser Nebelstreif, ein schaler Einheitsbrei der Ewigkeit. Sicher wirst auch du einmal begreifen, wie quälend es sein kann, wenn das eigene Leben kein Ende und somit keinerlei Kontur hat.“
Serafina sah aus, als wollte sie widersprechen, aber ich kam ihr zuvor. „Wieso arbeiten Sie jetzt eigentlich als Wahrsagerin?“
„Man muss von irgendetwas leben“, erwiderte Dina nüchtern. „Andere Wahrsager behaupten, dass sie Kontakt zu Engeln aufnehmen können. Ich denke, da habe ich ihnen doch einiges voraus. Außerdem verfügte ich als Richterin über einen Instinkt, der hellseherischen Fähigkeiten schon sehr nahe kam, und nicht alles davon ist mit der Zeit verschwunden.“
„Was ist mit dem Symbol, das Sie auf Ihrer Webseite verwenden?“, fragte ich weiter. „Hat das eine tiefere Bedeutung?“
„Die Bedeutung ist – ich brauchte ein Logo und bin für eine Wahrsagerin erschreckend unkreativ“, antwortete Dina, und nun war ihr amüsierter Gesichtsausdruck wieder da. „Aber es stimmt, dass ich in der Lage bin, diese Schrift zu entziffern. Mich würde allerdings interessieren, weshalb ihr so darauf brennt, euch ausgerechnet dieses Buch übersetzen zu lassen. Wenn ich das richtig sehe, ist es einfach eine Sammlung uralter Legenden und Mythen.“
„Tja, das zu erklären dauert eine Weile“, sagte Rasmus gedehnt. „Vielleicht möchten Sie sich vorher setzen?“
Schweigend kam sie seiner Aufforderung nach, und Rasmus begann mit einer etwas umständlichen Einleitung. Offenbar wollte er Dina behutsam auf den Kern seines Berichts vorbereiten, doch am Ende schien sie lange nicht so entsetzt zu sein wie wir, als wir von Sams Verdacht erfahren hatten.
„Das ist übel“, meinte sie bloß.
Sam schaute sie ungläubig an. „Übel? Das ist eine verdammte Katastrophe!“
„Ich bin zu alt, um mich vor Katastrophen zu fürchten“, erwiderte Dina, die anscheinend vergessen hatte, dass sie mit einem Pfefferspray bewaffnet zur Tür gekommen war. „Falls ihr mit euren Vermutungen Recht habt, so ist der Abaddon möglicherweise erst dann stark genug, um die Mauern niederzureißen, wenn ich längst unter der Erde liege.“
„Aber wir würden gern auch die nächsten siebzig Jahre morgens aus dem Bett steigen, ohne über kämpfende Engel und Dämonen zu stolpern“, brauste Sam auf. „Also, helfen Sie uns nun oder nicht?“
„Schon gut, ich kann es ja versuchen. Aber das wird ein wenig dauern, schließlich ist es sehr lange her, seit ich diese Schrift das letzte Mal benutzt oder gelesen habe. Ihr könnt euch ja inzwischen hier umsehen – mit den Augen “, ergänzte sie an Jinxy gerichtet. Sie zog eine Schublade auf, die sich unter der Tischplatte verbarg, und holte eine Lesebrille sowie einen Block und einen Bleistift hervor. Danach begann sie, in dem Buch zu blättern und sich Notizen zu machen. Interessiert schaute ich zu, während Sam und Jinxy wieder auf Streifzug durch das Zimmer gingen. Nach einer Weile wurde mir das Warten allerdings auch lang, und ich studierte ein Plakat mit Tierkreiszeichen, bis Dinas Stimme meine Aufmerksamkeit zurückholte.
„Hier steht es“, sagte sie knapp. Sofort blickten alle in ihre Richtung, und Sam, der sich eben noch mit Jinxy um eine Art Voodoo-Puppe gekabbelt hatte, war mit zwei langen Schritten neben ihr. „Es ist nicht viel und auch sehr verschwommen formuliert … wie eine Prophezeiung.“
Sam verlagerte sein Gewicht schnell von einem Bein auf das andere. „Eine bebilderte Gebrauchsanweisung wäre mir zwar lieber gewesen, aber das muss auch reichen. Also, was benötigt man, um einen Abaddon platt zu machen? Raus damit!“
„Einen Weltenwandler.“
„Ja doch, einen Weltenwandler, wie bringt man den zur Strecke?“, drängte Sam, aber Dina schüttelte sacht den Kopf.
„Das war die Antwort auf deine Frage.“
Stille breitete sich zwischen uns aus. Ich spürte, wie die Enttäuschung zäh durch mich hindurchsickerte, wie Zement, der allmählich erstarrt. Als ich hilfesuchend in die Gesichter der anderen sah, wusste ich, dass es ihnen
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