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Für jede Lösung ein Problem

Für jede Lösung ein Problem

Titel: Für jede Lösung ein Problem Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kerstin Gier
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hart. »Ich heirate schließlich nur einmal im Leben, und da soll allesperfekt sein«, sagte sie. »Außerdem ist sie noch so klein, das kriegt sie sowieso nicht mit.«
    Von wegen. Diese Hochzeit ist mir bis heute bis ins kleinste Detail in Erinnerung geblieben. Ich weiß sogar noch, dass mein Vater mir Kieselsteinchen in den Reis gemischt hatte, den ich vor der Kirche auf das frischgetraute Brautpaar werfen durfte. Und dass eine der beiden weißen Tauben, die dort fliegen gelassen wurden, meinem Onkel Gustav auf die Glatze kackte. Diese Hochzeit war alles andere als perfekt gewesen. Immerhin hätte sie ohne größere Zwischenfälle verlaufen können, wenn Tante Alexa nicht so ein Theater wegen meiner Haarfarbe veranstaltet hätte. Hätte man mir ein rosa Satinkleid angezogen und mich Blumen streuen lassen, wäre ich niemals beleidigt unter den Tisch gekrochen, wo der Dackel meines Opas lag. Ich wäre auch nicht auf die Idee gekommen, aus purer Langeweile Opas Schnürsenkel an Waldis Halsband festzuknoten. Wenn ich mit den anderen Blumenmädchen Prinzessin gespielt hätte, hätte ich nicht Waldis geliebten Sockenball auf die Wiese geworfen, und Waldi hätte Opa Rodenkirchen nicht vom Stuhl gerissen, und Opa Rodenkirchen hätte nicht nach der Tischdecke gegriffen, und das gesamte Porzellan wäre nicht auf den Boden geknallt und dort in tausend Stücke zerscheppert. Und ich wäre heute in der Familie nicht als »Dorotheas Jüngste, die das Meißner Porzellan auf dem Gewissen hat« bekannt. Obwohl – mittlerweile war ich vermutlich »Dorotheas Jüngste, die das Meißner Porzellan auf dem Gewissen und immer noch keinen Mann abgekriegt hat« geworden.
    »Liebe Gerri« , schrieb mein Cousin Harry. »Der Einsendeschluss für den Vierzeiler anlässlich der Silberhochzeit meiner Eltern war gestern. Da ich alle Strophen schriftlich festhalten möchte und dem Jubelpaar in gebundener Form als Andenken überreichen möchte, bitte ich dich, mir deinen Beitrag umgehend zuzusenden. Wir werden übrigens in alphabetischer Reihenfolge auftreten, du bist also zwischen Cousine Franziska und Onkel Gustav an der Reihe. Zum Üben: Wir werden das Lied in D-Dur anstimmen.«
    »Du bist noch jung und schon so doof, hollahi, hollaho«, sang ich,wenn auch wahrscheinlich nicht in D-Dur. »Du kannst mich mal, doch da reimt sich nichts drauf, hollahiaho!« Auch noch üben sollte man für diesen Scheiß, das war wirklich wieder mal typisch. Als Inspiration und positives Beispiel hatte Harry seine eigenen dichterischen Ergüsse beigefügt. Auffallend war, dass in jeder Zeile das Wort »tut« vorkam.
    »Der Harry tut ganz furchtbar dichten, jetzt will er auch noch mich verpflichten.« Ich klickte Harry weg und öffnete ein neues Dokument.
    »Vor meinem Tod unbedingt erledigen« , schrieb ich in die erste Zeile. »Erstens: Testament schreiben. Zweitens: an Harrys dämlichen Vierzeiler denken, sonst steht der Blödmann hier noch vor der Tür. Drittens: die Wohnung putzen und alle peinlichen Dinge entfernen. Viertens: Abschiedsbriefe schreiben, siehe Extraliste. Fünftens: das Klassentreffen absagen. Sechstens: zum Friseur gehen.«
    Ein Testament ist eine wichtige Sache. Meine Oma Rodenkirchen hatte keins gemacht, sie hatte nur die mündliche Order hinterlassen, dass ihr Schmuck unter ihren Enkeltöchtern verteilt werden sollte.
    »Jedes Mädchen kann sich was aussuchen«, hatte sie gesagt. »Immer reihum, die Jüngste fängt an.« Das war ja ein netter Grundgedanke gewesen, aber nachdem sie sich das Gerangel um ihre Schmuckschatullen von oben angesehen hatte, war sie sicher zu dem Schluss gekommen, dass es besser gewesen wäre, ein Testament zu machen.
    Tante Evelyn, die nur Jungs hatte und damit aus der »Enkeltöchter«-Regelung komplett herausfiel, hatte mit verschränkten Armen in der Zimmerecke gestanden und vor sich hin gemurrt, meine Mutter war dagegen mit ihren vier Töchtern endlich mal hochzufrieden gewesen. Ich vermute, das war der einzige Tag in ihrem Leben, an dem es ihr nichts ausmachte, dass keine von uns ein Junge geworden war.
    »Nimm den Saphir , den Saphir «, flüsterte Tante Alexa meiner damals erst dreijährigen Cousine Claudia zu, aber Claudia, die keine Ahnung hatte, wie ein Saphir aussah, griff beim ersten Mal nach einer Korallenkette und beim zweiten Mal nach einem Bernsteinanhängermit einer Mücke drin. Daraufhin brach Tante Alexa in Tränen aus. Unsere Cousinen Diana, Franziska, Miriam und Betty stürzten sich auf die

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