Für jede Lösung ein Problem
sicherstellen, dass er gut zu Hause ankam und sich nicht auch noch wasantat. »Willst du jetzt die ganze Nacht hier bleiben und auf Mia warten?«
»Weiß nicht«, sagte Ole.
»Ich halte das für keine gute Idee«, sagte ich.
»Dann schlag mir was Besseres vor«, sagte Ole.
»Es wäre besser, nach Hause zu gehen und in Ruhe nachzudenken.«
»Worüber denn?«, fragte Ole. »Darüber, was für ein Vollidiot ich bin?«
»Zum Beispiel«, sagte ich.
Ole bestellte noch einen Whiskey. »Aber mir gefällt es hier«, sagte er.
Okay, dann eben nicht. Ich hatte ja auch schon selber genug um die Ohren. Vor meinem geistigen Auge tauchten Bilder meiner Abschiedsbriefe auf, wie sie von einer Sortiermaschine nach Postleitzahlen geordnet wurden. Was machte ich eigentlich noch hier unten? War ich von allen guten Geistern verlassen?
»Ich gehe jetzt«, sagte ich entschlossen.
»Wohin?« Ole sah mich erschrocken an.
»Auf mein Zimmer. Ich rufe Joe an.«
»Nein, bleib bei mir, Gerri, bitte.«
»Nein, das geht nicht.«
»Ja ja, verstehe schon, natürlich nicht, entschuldige.« Ole sah auf seine Uhr. »Ich glaube aber, der kommt nicht mehr. Der verheiratete Mistkerl hat dich versetzt.«
»Kann schon sein«, sagte ich. »Deshalb will ich ja anrufen.«
»Er ist also wirklich verheiratet! Ich wusste es. So ein Mistkerl. Betrügt seine Frau und nutzt dich nur aus. Eine Frau wie dich. Zur Geliebten degradiert. Und dann kommt er noch nicht mal pünktlich.« Ole beugte sich über den Tresen. »Hey, Sie«, sagte er zu dem Kellner. »Können Sie das fassen? Der Mistkerl hat sie versetzt.«
»Hat er nicht«, sagte ich und ließ mich vom Barhocker gleiten. »Können Sie den Champagner auf meine Zimmerrechnung setzen? Es ist die Nummer 324.«
Der Kellner nickte.
»Nein, nein«, sagte Ole. »Das übernehme ich.«
»Nimm dir ein Taxi nach Hause, Ole«, sagte ich.
»Du bist so lieb zu mir«, sagte Ole. »Du bist überhaupt der liebste Mensch, den ich kenne. Und schön und klug und witzig. Du bist viel zu schade für diesen Joe.«
»Es ist zu spät«, sagte ich und gab ihm einen Kuss auf die Wange. Ein letztes Mal Zahnarztgeruch schnuppern. Beinahe hätte ich zu weinen angefangen. Aber jetzt musste ich wirklich hart bleiben. »Wiedersehen, Ole, du wirst sehen, alles wird gut. Und komm bloß nicht auf dumme Gedanken.«
»Nein, keine Sorge, Gerri. Ich ruf dich an, wenn ich wieder klar denken kann.«
Ich biss mir auf die Unterlippe und stöckelte zur Tür.
»Ich bin hier, wenn du mich brauchst«, rief Ole hinter mir her.
Liebe Frau Köhler,
ich weiß, Sie haben mir bereits vor Jahren angeboten, Tante Annemarie zu Ihnen zu sagen, aber ich habe bereits so viele echte Tanten, dass ich diese Vertraulichkeit bis heute abgelehnt habe. Zumal ich weiß, dass Sie mich nicht ausstehen können, seit ich damals nicht mit Klaus zum Abschlussball gehen wollte.
Das ist ein altes Missverständnis, das ich hier ein für alle Mal aufklären will: Ich habe mir die Sache NICHT »kurzfristig anders überlegt«, um den armen Klaus dann völlig überraschend ohne Partnerin stehen zu lassen. Im Gegenteil, ich habe sowohl Klaus als auch meiner Mutter mehr als einmal sehr deutlich zu verstehen gegeben, dass ich lieber ein Pfund lebendige Nacktschnecken essen würde, als mit einem Jungen zum Abschlussball zu gehen, der 1. beim Tanzen seinen Hintern immer nach hinten streckt wie eine Ente beim Kacken, 2. riecht, als habe er sich zwei Jahre nicht mehr gewaschen, 3. während der Tanzpausen in der Nase bohrt und sich die Pickel an seinem Hals ausquetscht und 4. sich trotz alledem für unwiderstehlich hält. Letzteres muss man Ihnen hoch anrechnen. Das nenne ich gute Erziehungsarbeit.
Allerdings ist es wohl genau dieser Eigenschaft zu verdanken, dass Klaus am Tag des Abschlussballs mit einem Blumensträußchen vor unserer Tür stand, und zwar zeitgleich mit Georg Straub, der ebenfalls ein Blumensträußchen in der Hand hielt. (Nur am Rande und zu Ihrer Genugtuung: Obwohl Georg Straub immer gut roch, zählte er beim Rumba falsch an und trampelte mir beim Tango die Zehen platt.)
Es ist nicht wahr, dass ich die Tür geöffnet und angefangen habe zu lachen. Es stimmt auch nicht, dass ich gerufen habe: »Haha, Klaus, jetzt bist du aber reingefallen, was, du Depp?«
In Wirklichkeit habe ich den Schock meines Lebens bekommen, als ich gleich zwei Jungs mit Blumensträußen vor der Tür stehensah. Klaus ignorierte Georg und das Blumensträußchen völlig. Er bohrte
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