Für jede Lösung ein Problem
Eins, zwei …«
Bei »drei« hatte ich mir den Zettel in den Mund geschoben. Es ging nicht anders, denn darauf stand: »Rothe ist ein sadistisches, neofaschistisches Hängebauchschwein« , und das war leider wahr.
»Weißt du noch, wie ich dich damals vor Rothe gerettet habe, Charly?«, fragte ich. »Ich musste hundertmal schreiben: In Deutschland ist Papier nicht zum Essen da .«
»Ja, dieser Mann hatte wirklich mittelalterliche Methoden drauf«, sagte Charly. »Dabei war er höchstens vierzig, damals. Muss man sich mal überlegen. Wenn ich Pech habe, bekommt mein Kind ihn auch noch als Lehrer. Oh, was ist das denn? Ein Brief von dir, Gerri? Für mich? Hättest du nicht anrufen können?« Sie lachte.
Mir fiel das Herz endgültig in die Hose. »Weißt du, Charly, ich habe vergangene Woche ziemlich viel getrunken … Lies es doch einfach später.«
Aber Charly nahm den Brief ganz begeistert aus seinem Umschlagund faltete ihn auseinander. Ihr Blick wanderte auf meinen Zeilen hin und her. »Warum schreibst du … Ja ja, das stimmt leider … Doch, doch, Rost desinfiziert wohl …« Sie kicherte, dann wurden ihre Augen unvermittelt feucht, das war wohl die Stelle, an der ich geschrieben hatte, dass sie das Beste war, das mir jemals passiert war, und dass ich ihrer Tochter auch eine Freundin wie sie wünschen würde. »Och, schön ! Ulrich, Gerri hat mir einen Liebesbrief geschrieben. Ach, Gerri, stimmt das? Das ist ja so süß!«
Ich biss mir auf die Lippen.
»Auf so nette Ideen kommst auch nur du …« Jetzt runzelte sie die Stirn, sie hatte offenbar das P. S. erreicht. Die letzten Sätze las sie laut vor. »Lieber eine Wurzelbehandlung ohne Betäubung als Charly Somewhere over the rainbow singen zu hören. Deshalb komm auch bitte nicht auf die Idee, bei meiner Beerdigung Ave Maria zu singen oder so. Ich möchte keinesfalls, dass die Leute an meinem Grab einen Grund zum Lachen haben. Was soll das denn? «
Ulrich sah mich schockiert an. »Gerri!«
»Ich … ich …«. Ich wusste nicht, was ich sagen sollte.
Charly sah wütend aus. »Stimmt das, Ulrich? Hast du das wirklich gesagt?«
»Äh, ja, vielleicht mal – so dahergesagt«, sagte Ulrich. »Aber Gerri …«
»Aber du hast es nicht ernst gemeint!«, sagte Charly.
»Also, puh, wenn du mich so direkt fragst, so ein bisschen ernst habe ich es schon gemeint«, sagte Ulrich. »Aber frag doch lieber mal, warum Gerri dir …«
»Ja, was soll das denn heißen, ich kann nicht singen?«, fiel Charly ihm ins Wort. »Ich bin eine gefragte Interpretin. Ich habe … haufenweise Aufträge. Nächstes Wochenende, da singe ich zum Beispiel wieder auf einer Hochzeit. Weißt du, wie viele Ave Marias ich schon in Kirchen gesungen habe? Und wie oft Saving all my Love to you und Candle in the Wind. Das kann man schon gar nicht mehr zählen.«
»Das stimmt«, sagte Ulrich. »Aber deshalb hat Gerri wohl nicht …«
»Vielleicht ist dir ja mal aufgefallen, dass du überall nur einmalsingst«, sagte ich und guckte dabei auf den Boden. »Niemand bucht dich zweimal.«
»Ja, weil ich eben überwiegend auf Hochzeiten singe, und man heiratet ja nicht so oft im Leben«, sagte Charly. »Das Gleiche gilt für Beerdigungen. Ulrich, du weißt doch noch, wie ich beinahe diesen Plattenvertrag bekommen hätte, oder? Diese Firma war nicht irgendeine! Die haben die größten Stars unter Vertrag, und sie wollten mich !«
»Ja«, sagte Ulrich. »Das war aber, bevor sie dich singen gehört haben.«
Charly war sprachlos.
»Tut mir leid«, sagte ich.
»Ja, mir auch!«, sagte Charly. »Zehn Jahre stecke ich jetzt in diese Karriere, und jetzt erst kommt jemand auf die Idee, mir zu sagen, dass ich überhaupt nicht singen kann? Tolle Freunde, muss ich sagen.«
»Natürlich kannst du singen«, sagte ich. »Nur eben nicht gut.«
»Nicht gut genug, meinst du! Jetzt stehe ich da mit dreißig und habe keinen Beruf.«
»Du hast doch mich«, sagte Ulrich.
»Ach, halt den Mund«, blaffte Charly ihn an. »Ihr beide habt keine Ahnung von Musik, ihr seid vollkommen unmusikalisch.«
»Du aber auch«, sagte ich.
»Und du sei ganz still«, schnauzte Charly mich an. »Schöne Freundin! Um mir so was zu sagen, musst du mir doch keinen Brief schreiben! Keine Angst, auf deiner Beerdigung werde ich nicht singen! Da werde ich tanzen …« Sie stockte und schaute wieder auf den Brief. »Was soll überhaupt der Scheiß mit der Beerdigung …? Und warum schenkst du mir deine Rosenkissen?«
Ich schaute wieder
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