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Für jede Lösung ein Problem

Für jede Lösung ein Problem

Titel: Für jede Lösung ein Problem Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kerstin Gier
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bin jedenfalls die, die eine Eins in Deutsch verdient hatte, aber immer nur eine Zwei minus von Ihnen bekam, weil Sie meine Interpretationen von Goethe, Schiller und Borchert nicht mochten.
    Nun, da ich kurz vor dem Ende meines Lebens stehe und ein Resümee ziehe, muss ich zu meinem eigenen Erstaunen sagen, dass ich Ihnen dennoch eine Menge zu verdanken habe. Ich hätte niemals den Unterschied zwischen wieder und wider begriffen, wenn Sie mich in der siebten Klasse nicht einhundert Mal hätten schreiben lassen: » Ein deutsches Mädchen gibt keine Widerworte.«
    Und natürlich den schönen Satz »Geschenkt ist geschenkt, und wiederholen ist gestohlen«. Den musste ich schreiben, als Britt Emke sich meinen Kugelschreiber geliehen hatte und ihn erst wieder rausrückte, als ich ihr das Lateinbuch auf den Kopf zu hauen drohte. Leider kamen Sie in diesem Augenblick in den Klassenraum und stellten sich sofort auf Britts Seite. Warum eigentlich? Weil sie ein Gesicht hatte wie ein deutsches Pferd? Weil sie auf Kommando Tränen vergießen konnte, während ich immer nur vor Wut mit den Zähnen knirschte?Als ob ich ihr diesen Kugelschreiber geschenkt hätte! Er war nämlich ein Geschenk von meiner Großtante Hulda, ausnahmsweise mal eins, das mir gefiel, weil es keine kratzige Strumpfhose war: In diesem Kugelschreiber fuhr eine kleine Eisenbahn auf und ab. Ich habe ihn heute noch. Gut, dass Sie nicht wissen, wie ich ihn zurückbekommen habe, denn sonst hätte ich hundertmal: »Ein deutsches Mädchen darf ein anderes nicht mit einem Tintenkiller rammen« schreiben müssen.
    Hochachtungsvoll
    Gerri Thaler

D reizehn
    Flo öffnete uns die Haustür. »Habt ihr uns was mitgebracht?«
    »Wieso bist du noch nicht im Bett?«, fragte Charly.
    »Weil ich noch nicht müde bin«, sagte Flo. »Und weil ich auf euch warten wollte.« Sie umarmte mich stürmisch und gleich noch einmal, als ich ihr ein kleines Abziehbildchen mit einem Einhorn drauf zusteckte. »Du bist die Netteste der Welt, Gerri!«
    »Wenn ich dir was mitgebracht hätte, wäre ich dann die netteste der Welt?«, fragte Charly eifersüchtig.
    »Nein«, sagte Flo. »Aber die Zweitnetteste.«
    »Geh schlafen«, sagte Charly.
    »Heute ist Vollmond, da schlafen Kinder grundsätzlich nicht, gewöhn dich schon mal dran!« Caroline war aus der Küche gekommen, verteilte Küsschen und redete wieder mal ohne Punkt und Komma. »Charly, Süße, dir ist immer noch kotzschlecht, nicht wahr, haha, hatte ich dir gleich gesagt, dass das kein Zuckerschlecken ist, Ulrich, hast du dich nicht rasiert, alter Stachelbär, Gerri, wie schön, dass du da bist, du siehst wunderbar aus, ist das T-Shirt neu, Severin, lass ihren Ohrring los, ich habe Lachs besorgt, keine Thunfischsteaks, die soll man ja nicht mehr nehmen wegen der totalen Überfischung, und bald sind sie alle ausgestorben, weil sie nicht mehr dazu kommen, groß zu werden und sich zu vermehren, und zu fressen haben sie auch nichts, Severin, lass das, habe ich gesagt, weil wir die kleineren Fische auch alle fangen, das ist eine Schande, manchmal schäme ich mich, ein Mensch zu sein, der Lachs kommt aus einer irischen Ökozucht, also können wir ihn mit gutem Gewissen essen, ich dachte, vielleicht machen wir ihn in einer Sahnedillsoße mit Bandnudeln, das geht schnell und macht satt, und die Kinder mögen es auch, Marte und Marius mussten ihre beiden mitbringen,der Babysitter hat abgesagt, Ole und Mia sind auch schon da, bitte kein Wort darüber, dass wir wissen, dass es in der Ehe kriselt, Ole hat uns das unter dem Siegel der Verschwiegenheit anvertraut, tut so, als wäre alles wie immer, Flo, geh mal schnell wieder hoch ins Kinderzimmer, ich glaube, Odette will deiner Pocahontas das Dornröschenkleid anziehen.«
    »Die spinnt wohl!« Flo rannte die Treppe hoch.
    »Guter Trick«, sagte Charly anerkennend.
    »Funktioniert aber nur bei Mädchen«, sagte Caroline, hievte sich Severin auf die Hüfte und bahnte uns einen Weg durch Klamotten-, Schuh- und Spielzeugberge, indem sie alles links und rechts zur Seite kickte.
    Ich traute mich plötzlich nicht weiterzugehen, aber Charly fasste mich am Ellenbogen: »Komm schon! Es gibt nichts, wofür du dich schämen müsstest.«
    Ach, Charly! Was würde ich wohl ohne sie tun? Heute Morgen hatte sie ihren letzten offiziellen Aufritt als Sängerin gehabt: Bei einer Hochzeit in der Agnes-Kirche hatte sie »Ave Maria« gesungen, und Ulrich und ich hatten in der letzten Reihe gesessen und zugehört. Nicht

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