Für jede Lösung ein Problem
angelaufen kam. Ich streckte meine Beine, die unter Flos Gewicht eingeschlafen waren, und schaute verstohlen zu Ole hinüber. Er schaute verstohlen zurück. Beinahe hätte ich ihn angelächelt, aber da fiel mein Blick auf Mia, und ich verkniff mir das Lächeln gerade noch einmal.
Mia stand auf und setzte sich auf den freigewordenen Stuhl neben mich und zog ihn noch näher zu mir heran, was nun wirklich nicht nötig gewesen wäre.
»Ich überlege die ganze Zeit, wie ich es wohl anstellen würde, wenn ich mich umbringen wollte«, sagte sie leise. Sie hatte einen guten Zeitpunkt für ihre Attacke gewählt: Charly half Caro gerade, die Teller abzuräumen, Marta holte Odettes kleinem Bruder Odilo (ja, ich weiß, das kommt fast an Arsenius und Habakuk heran) ein Legosteinchen aus der Nase, und die anderen waren in ein Gespräch vertieft. Nur Ole musterte uns besorgt, konnte aber vermutlich vom anderen Tischende nicht hören, was Mia sagte.
»Vielleicht würde ich mir ein hübsches Hotelzimmer mieten, mich wahnsinnig in Schale schmeißen und jemanden anrufen, auf den ich schon ganz lange scharf wäre«, sagte sie.
Ah, jetzt ging es also so richtig zur Sache. Sie wollte auf den Busch klopfen. Bitteschön, meinetwegen. Ich war ganz klar im Vorteil, denn erstens wusste ich, was sie wusste, und zweitens wusste ich, dass sie das alles gar nicht wissen durfte, es sei denn, sie gab zu, dass sie nicht auf Fortbildung gewesen war, sondern mit einem Liebhaber im selben Hotel wie wir. Und drittens hatte ich ja überhaupt gar nichts mit Ole gehabt!!!
»Gibt es denn jemanden, auf den du schon ganz lange scharf bist?«, fragte ich. »Ich meine, immerhin bist du verheiratet!«
»Nein, nein, du verstehst mich nicht. Ich habe versucht, mich in dich hineinzuversetzen«, wisperte Mia. Ihre blassen, wasserblauen Augen hatten trotz des eher dürftigen Lichtes ganz kleine Pupillen. Ich fand, dass es ein wenig gruselig aussah. Diesen Effekt musste ichmir für Ronina merken. »Ich habe überlegt, was ich an deiner Stelle tun würde. Und ich hätte diesen Typen angerufen, auf den du schon die ganze Zeit scharf bist. Und dann hätte ich ihm was vorgeheult, von wegen, dass ich mich gleich umbringen würde, und er wäre natürlich sofort zu dir gekommen, um dich daran zu hindern, dich umzubringen.«
»Aber das wäre doch ziemlich dumm von dir gewesen«, sagte ich. »Denn dann hättest du dich ja nicht mehr umbringen können.«
»Das ist es ja gerade«, sagte Mia. »Wusstest du, dass dreißig Prozent aller Selbstmordversuche nichts weiter sind als Schreie nach Aufmerksamkeit? Dass diese Menschen nichts weiter wollen, als endlich die Streicheleinheiten zu bekommen, die sie ihrer Meinung nach verdient haben?«
»Oh, hast du das im Internet recherchiert?«
Mia nickte. »Und weißt du was? Ich glaube, das genau war bei dir auch der Fall.«
»Das erklärt zumindest deinen Mangel an Mitgefühl und Besorgnis«, sagte ich.
»Ich muss sagen, ich finde diesen Trick gar nicht mal übel«, sagte Mia. »Hinterhältig zwar, aber wirkungsvoll. Der Typ, auf den du schon lange scharf bist, kann dir wohl kaum widerstehen, wenn du so rehäugig und tieftraurig vor ihm stehst. Und man sollte auch nie die Wirkung unterschätzen, die es hat, einem Mann das Gefühl zu geben, dein Retter zu sein. Ehe du dich versiehst, liegst du mit dem Kerl im Bett.«
»Ich weiß nicht, Mia, aber mir scheint der Aufwand ein bisschen groß zu sein, nur um jemanden ins Bett zu kriegen«, sagte ich.
»Manche Männer sind eben nicht so einfach zu verführen«, sagte Mia. »Zum Beispiel die Verheirateten.«
Ich musste lachen. »Aber wer wäre schon so blöd, sich einem verheirateten Mann an den Hals zu werfen?«
Mia musterte mich ernst. »Mehr Frauen, als du denkst, Gerri. Du wirst es vielleicht nicht glauben, aber auch Ole wandert ab und an auf Abwegen.«
»Ole?« Ich sah zu Ole hinüber. Er sah unruhig aus, ein bisschen so, als sei das Stuhlkissen unter ihm glühend heiß. »Aber Ole doch nicht!«
»Doch, doch«, raunte Mia. »Er weiß es noch nicht, aber eine Freundin von mir hat ihn an diesem Wochenende mit einer anderen gesehen.«
»Vielleicht war das seine Cousine?«, schlug ich vor. Allmählich fand ich die ganze Sache wirklich lustig.
»Nein, nein, du verstehst mich nicht«, sagte Mia und beugte sich lauernd vor. »Meine Freundin hat Ole und seine Geliebte in einem Hotel gesehen. Beim Frühstück. Knutschenderweise.«
Wahrscheinlich hielt Mia mich für das allerletzte
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