fuer Liebende
hob und senkte. Der kurze Anflug von Furcht in seinen dunklen Augen, als sie mit dem Peitschengriff über seine Bauchmuskeln gestrichen hatte. Die Überraschung, als sie tatsächlich zuschlug. Hatte es ihr tatsächlich Spaß bereitet? Hatte sie prickelnde Macht empfunden, und … Lust?
Nein. Helena schüttelte den Kopf. So war sie nicht.
Sie
doch nicht …
Zeit, die Vorstellung zu beenden. Helena wühlte in der Requisitenbox herum, fand eine Taschenlampe. Dann nahm sie einen der schwarzen Umhänge aus dem Kostümfundus.
Sie stopfte alles in ihre große Umhängetasche, zusammen mit ihren Jeans, T-Shirt und Turnschuhen, und schaute sich ein letztes Mal um. Morgen früh würde die Garderobe wieder dem »Pudermäuschen« gehören. Heute Nacht regierte die unberechenbare Maskierte. Helena griff nach der Peitsche. Die kam mit. Für alle Fälle.
Helena löschte das Licht. Augenblicklich umfing sie graue Dämmerung. An der Wand huschte ein Schatten vorbei, in einer Ecke raschelte es leise, und von draußen irgendwo schrie kläglich ein kleines Tier.
Leise fluchend wühlte Helena in ihrer Umhängetasche nach der Taschenlampe, fand sie und knipste sie an. Schon besser. Trotzdem glich der Rückweg durch die große Halle einer Fahrt mit der Geisterbahn. Die Sonne war untergegangen und das Grummeln des Gewitters schien näher gerückt zu sein. Wetterleuchten tauchte eine rostige Turbine in gespenstisches Licht. Auch wenn Helena genau wusste, dass es nur die Schatten der Bäume vor dem Fenster waren, die zu Phantomen an den alten Wänden wurden, und dass nur Mäuse in den Ecken raschelten, so spürte sie doch, wie sich ihre Nackenhärchen aufrichteten. Elektrizität lag in der Luft und das alte Heizkraftwerk schien sie aufzusaugen wie ein Vampir, der Blut brauchte, um die Nacht zu beherrschen.
Helena beschleunigte ihre Schritte. Sie wich einer dunkel schimmernden Pfütze aus und hatte bald die Treppe erreicht. Sie hielt inne und lauschte. Erneut zuckte ein Blitz über den Himmel. Helena fuhr zusammen, zählte die Sekunden … Das Gewitter kam rasch näher.
Helena knipste die Taschenlampe aus, hielt sich am Geländer fest und stieg auf Zehenspitzen in die Dunkelheit hinunter.
Von unten flackerte ihr eine unstete Neonröhre entgegen und erhellte die Stufen notdürftig. Helena hatte die Lampe ganz vergessen. Mark Taylor saß also doch nicht in der totalen Finsternis. Trotzdem würde sie ihn befreien.
Je tiefer sie hinabstieg, umso lauter wurde ein metallisch klirrendes Geräusch. Vorsichtig schob sie ihren Kopf um die letzte Treppenbiegung.
Mark Taylor kniete in der Ecke und zerrte an dem Rohr, das an dieser Stelle in die Wand eingelassen war. Sein weißes Hemd war schwarz verfleckt, seine Haare standen ihm unordentlich um den Kopf herum und er murmelte leise vor sich hin.
Auf Zehenspitzen schlich Helena weiter. Sie stellte ihre Tasche ab und setzte sich auf die letzte Stufe, ihre Taschenlampe und die Peitsche fest umklammernd.
Mark Taylor hatte sie noch nicht bemerkt. Er mühte sich weiterhin mit dem Rohr ab, doch er konnte es nicht aus der Wand ziehen. Was er vor sich hin murmelte, hörte sich verdächtig nach Flüchen an. Plötzlich gab er auf, lehnte sich an die Wand und schloss die Augen. Seine heftigen Atemzüge wurden langsam tiefer und ruhiger.
Er sah müde aus, und seltsam nackt. Ungeschützt. Jung und verletzlich.
Helena hielt unwillkürlich die Luft an. Sie wollte diesen Moment nicht zerstören.
Mark atmete tief ein und deklamierte mit immer noch geschlossenen Augen: »Mir gilt die Welt nur wie die Welt, Graziano. Ein Schauplatz, wo man eine Rolle spielt, und mein’ ist traurig.«
Seine dunkle Stimme rollte durch den Keller, erfüllte ihn. Ironisch, gebrochen, und die ersten echten Töne, die sie je aus diesem Munde vernommen hatte.
Helena vergaß, wo und wer sie war. Sie musste einfach applaudieren.
Mark Taylors Augen flogen zu ihr herüber. Suchend schaute er nach rechts und links. Dann erblickte er Helena und atmete hörbar aus.
»Sieh da, die Lady mit der Peitsche. Wie lange bist Du schon hier?«
»Lange genug, um zu erkennen, dass Du tatsächlich ein guter Schauspieler bist.«
Mark richtete sich auf. Er hatte Schwierigkeiten, die Handschellen am Rohr mitzuziehen, doch er schaffte es und deutete eine ironische kleine Verbeugung in Helenas Richtung an. »Danke, Mylady. Die Rolle des Antonio. Shakespeares ›Kaufmann von Venedig‹.«
»Shakespeare? Ich dachte, Du würdest lieber so etwas wie Tom
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