Für Nikita
Berater. Aber er
hatte nicht die Absicht, sich auf Russow allein zu beschränken. Wer weiß, wie das Leben sich noch einmal wendete?
Von den Missionaren der neuen Spiritualität hatte Viktjuk die Kunst gelernt, allen zu gefallen, vom ersten Augenblick an Sympathie
und Vertrauen zu gewinnen. Jedem Gesprächspartner sagte er genau das, was dieser hören wollte, und zwar auf eine Weise, daß
niemand, und sei er noch so klug und selbstkritisch, auf die Idee kam, Viktjuk der Unaufrichtigkeit zu verdächtigen.
Nicht etwa, weil Viktjuk jeden Menschen durchschaute, nein, das konnte er nicht, der kleine sechzigjährige, rothaarige Dickwanst
mit den Hämorrhoiden und dem Hexenschuß. Der Trick bestand in etwas anderem. Viktjuk wußte genau, daß jeder Mensch, unabhängig
von Geschlecht, Bildungsgrad und materiellem Wohlstand, sich weit mehr für sich selbst interessierte als für seinen Nächsten.
Man mußtealso jedem die Möglichkeit geben, über sich zu reden. Mochte der Nörgler ruhig nach Herzenslust nörgeln, der Angeber angeben,
der Schwindler schwindeln. Auf den ersten Blick keine Kunst, möchte man meinen, aber versuche mal einer, im bösen Alltag allen
und jedem zu gefallen, jeden glauben zu machen, deine Aufmerksamkeit und Sympathie sei vollkommen uneigennützig. Doch genau
das verlangte Viktjuks Arbeit – Vertrauen und Sympathie. Er war einfach verpflichtet, allen zu gefallen, denn die Ware, mit
der er seit drei Jahren handelte, war wohl das Abstoßendste von allem, was man für Geld kaufen konnte.
Der lebensfrohe, beleibte Viktjuk handelte mit dem Tod. Nein, er selbst krümmte niemandem ein Haar, er tat keiner Fliege etwas
zuleide. Er war Vermittler, Bevollmächtigter, Berater und, nebenbei bemerkt, erfinderischer Ideengeber.
Die Dienste, die er anbot, umfaßten nicht nur die Suche nach einem Vollstrecker und dessen vorherige Überprüfung, die Verhandlungen
mit ihm, die Übergabe des Geldes und der Informationen über das potentielle Opfer. Zum Katalog seiner Dienstleistungen gehörten
auch Erpressung, Einschüchterung und das Sammeln von Belastungsmaterial.
Russow war noch immer sein enger Freund und ständiger Klient. Von Viktjuk stammte die großartige Idee mit dem Schuldschein
über fünfzigtausend Dollar. Er war der Mann, den Mascha Rakitina mit versteckter Kamera auf dem Hof neben einem nagelneuen
hellen Lada dabei fotografiert hatte, wie er ihrer Mutter galant die Hand küßte.
Zwanzigstes Kapitel
Am 5. Juli 1983 verletzte Anton Jewgenjewitsch Sliwko, geboren 1962, Russe, wohnhaft: Gebiet Moskau, Dorf Powarowka, Krasnaja-Straße
7, seine Bekannte Xenija Terentjewna Iljuschina, geboren 1939, wohnhaft: Stadt Klin, Gebiet Moskau, Kolchosnaja-Straße 12,
Wohnung 3, mit drei Messerstichen, von denen einer tödlich war.
Er unternahm keinerlei Versuch, die Spuren der Tat zu verwischen, und entwendete keine Wertgegenstände aus der Wohnung der
Toten. Sliwko legte den Leichnam aufs Bett, bedeckte ihn mit einem Laken, verließ das Haus, lief zur Bahnstation, stieg in
den Vorortzug, fuhr in sein Dorf, ging nach Hause, wusch sich und legte sich schlafen. Auf die Frage seiner Mutter, woher
das Blut an seiner Kleidung stamme, antwortete er: »Ich habe Xenija umgebracht.«
Er wurde sofort verhaftet. Er leugnete seine Schuld nicht, erklärte, er sei betrunken gewesen und habe die Iljuschina aus
Eifersucht getötet.
Die Nachbarn erklärten, Sliwko habe die alleinstehende Bibliothekarin Xenija Iljuschina häufig besucht, er sei der Lebensgefährte
dieser Frau gewesen, die vom Alter her seine Mutter hätte sein können.
Laut psychiatrischem Gutachten war Sliwko zurechnungsfähig und litt nicht unter auffälligen psychischen Störungen. Er betrieb
keinen Alkoholmißbrauch. Vom Armeedienst war er wegen eines Geburtsschadens freigestellt worden.
Sliwko war ein stiller, unauffälliger junger Mann. Er hatte eine Zimmermannslehre absolviert und arbeitete im Kolchos. Das
einzig Sonderbare an ihm war sein Hang zu Frauen, die mindestens zwanzig Jahre älter waren als er. Gleichaltrige Mädchen interessierten
ihn nicht.
Die Affäre mit der Iljuschina, behauptete er, war die erste große Liebe seines Lebens. Er hatte der Bibliothekarin Hand und
Herz angetragen, doch sie wies ihn ab. Gekränkt und eifersüchtig, stürzte er sich mit den Fäusten auf die Geliebte, dann geriet
ihm ein Küchenmesser in die Hand.
Vor Gericht zeigte Sliwko aufrichtige Reue, in der
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