Für Nikita
an.
»Wer sind Sie? Wie sind Sie hier reingekommen?« fragte sie heiser und musterte die rundliche Gestalt, das Bärtchen, das sanfte
Lächeln und die klugen, aufmerksamen Augen des älteren Mannes.
»Soja Anatoljewna, was ist mit Ihnen? Soll ich einen Arzt holen?« fragte Viktjuk besorgt. »Ihre Tür war nicht abgeschlossen,
das geht doch nicht. Da könnte ja sonstwer reinkommen.«
»Wer sind Sie?« Ihr Blick wurde allmählich klarer, ihre Stimme härter. »Ich habe Sie irgendwo schon mal gesehen.«
»Kann sein, kann sein.« Viktjuk nickte lächelnd. »Die Sache ist die – wir beide haben ein gemeinsames Problem. Wissen Sie
was, meine Liebe, ich koche einen Kaffee, ja? Haben Sie welchen im Haus?«
»Was ist los?« Sie stand vom Hocker auf und schlug ihren Bademantel zu. »Wer sind Sie?«
»Ich heiße Felix Michailowitsch, ich bin Jurist. Aber das ist unwichtig. Ich wollte schon lange mit Ihnen reden, über Ihren
Neffen Anton. Ich weiß, daß der Junge außer Ihnen niemanden hat.«
»Wo ist er?!« schrie die Astachowa heiser. »Was haben Sie mit ihm gemacht? Jetzt weiß ich! Sie sind einer von Russows Leuten!
Ich habe Sie bei ›Garantija‹ gesehen! Wo ist Anton?«
»Halt, halt, welcher Russow? Ist das nicht ein hoher Beamter irgendwo in Sibirien?«
»Erzählen Sie mir keine Märchen! Ich rufe gleich die Miliz!«
»Ja, wissen Sie, erst wollte ich mich auch an die Miliz wenden.« Viktjuk nickte mit einem traurigen Lächeln. »Aber dann tat
mir der Junge leid. Er ist doch krank und kann nichts dafür.«
»Was reden Sie da?« Sie zog mit zitternden Händen eine Zigarette aus der Schachtel, Viktjuk schnippte galant mit dem Feuerzeug.
»Der Junge hat den Kopf verloren.« Viktjuk hüstelte verlegen. »Verstehen Sie, er hat sich in meine Frau verliebt. Meine Frau
ist sechzig, genau wie ich …«
»Es reicht!« bellte die Astachowa. »Das haben Sie sich eben erst ausgedacht. Ich habe Sie bei ›Garantija‹ gesehen, Sie gehören
zu Russow. Sie sind hier, um mich als Zeugin zu beseitigen.« Sie warf die Zigarette weg, trat rasch rückwärts zum Küchenschrank
und tastete hinter ihrem Rücken herum, wobei sie Viktjuk mit bösen, betrunkenen Augen fixierte. Ein leises Schnappen, und
im nächsten Augenblick richtete sie eine deutsche Gaspistole auf Viktjuk. »Und jetzt schnell und ohne Lügengeschichten, wo
ist Anton?«
»Soja Anatoljewna« – Viktjuk schüttelte tadelnd den Kopf –, «Sie sind doch eine kluge Frau. Wenn ich gekommen wäre, um sie
zu töten, dann hätte ich das längst getan, meine Liebe. Natürlich können Sie auf mich schießen, aber das wäre nicht schön.
Erstens wäre es grausam, ich bin schließlich ein alter Mann, noch dazu unbewaffnet, und zweitens, was machen Sie dann mit
mir? Das ist doch ein Nervenlähmungsgas, nicht? Aus dieser Entfernung und bei meinem Alter könnte das ohne weiteres tödlich
wirken. Und Ihnen wird auch übel werden in diesem engen Raum. Also liegen wir beide hier auf dem Boden rum, irgendwann kommen
Sie zu sich, sehen die Leiche in Ihrer Küche, und was dann?«
»Na gut.« Sie ließ die Pistole sinken, legte sie jedoch nicht aus der Hand. »Ich höre.«
»Schön. Aber seien Sie so gut und setzen Sie sich bitte, es ist mir nämlich peinlich, in Gegenwart einer Dame zu sitzen.«
»Nein. Ich bleibe stehen, Sie bleiben sitzen.«
»Tja, was bleibt mir übrig.« Viktjuk lächelte und hob die Hände. »Ziemlich schwierig, sich in unserer brutalen modernen Welt
wie ein Gentleman zu verhalten. Sie haben mich erkannt. Das freut mich. Ich habe immer gedacht,mein Gesicht merkt sich niemand. Von einer so attraktiven Dame erkannt zu werden wärmt mir das Herz. Ja, ich habe tatsächlich
eine Zeitlang in der Privatdetektei ›Garantija‹ gearbeitet, aber nur sehr kurz. Damit hat mein Besuch bei Ihnen allerdings
absolut nichts zu tun, glauben Sie mir. Schon gar nicht mit Russow. Ich habe ihn seit drei Jahren nicht mehr gesehen; wir
sind nicht gerade als Freunde auseinandergegangen … Nun, das tut nichts zur Sache. Soja Anatoljewna, lassen Sie mich doch
einen Kaffee kochen. Ich kann gar nicht mit ansehen, wie nervös Sie sind.«
»Gut.« Sie nickte und ließ sich schwer auf einen Hocker fallen. »Aber später, nicht jetzt.«
»Wie Sie meinen. Also, noch einmal von vorn. Meine Frau ist sechzig. Wir sind seit vierzig Jahren zusammen und haben in dieser
Zeit so manches miteinander erlebt, aber im großen und ganzen eine glückliche
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