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Für Nikita

Für Nikita

Titel: Für Nikita Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Polina Daschkowa
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auswies.
    Die Astachowa studierte die Papiere lange; sie hatte sichtlich Mühe, etwas zu begreifen.
    »Soja Anatoljewna« – Viktjuk nahm ihr die Papiere ausder Hand und schaute ihr in die Augen, »sagen Sie mir, wo ist Ihr Neffe?«
    »Ich weiß es nicht!« schrie sie verzweifelt. »Das ist ja das Schlimme, ich weiß es nicht!«
    »Na gut, wann haben Sie ihn denn das letztemal gesehen?«
    »Vor einer ganzen Weile. Ende April. Aber wirklich Sorgen um ihn mache ich mir erst jetzt.«
    »Gibt es dafür irgendeinen Grund? Oder sorgen Sie sich einfach, weil so viel Zeit vergangen ist?«
    »Es gibt einen Grund …«
    »Nämlich?«
    »Anton wurde benutzt. Es soll so aussehen, als hätte er einen Mord begangen. Ich weiß genau, daß er niemanden getötet hat.
     Aber es ist ja so bequem, ihm das in die Schuhe zu schieben … Der Junge ist krank. Nein, ich kann Ihnen das nicht erzählen«
     – sie schüttelte den Kopf –, »ich kann nicht. Ich habe Angst. Um mich und um ihn.«
    »Sie brauchen keine Angst zu haben.« Er legte seine warme Hand auf ihre, die eiskalt und feucht war. Die Gaspistole lag schon
     seit einer Weile auf dem schmutzigen Tisch. »Erzählen Sie, ich bin immerhin Jurist und außerdem persönlich interessiert. Ich
     habe Ihnen doch gleich gesagt, wir beide haben ein gemeinsames Problem.«
     
    Tatjana Wladimirowa war eine zierliche Blondine mit kurzem Haar. Leontjew wußte, daß sie siebenundzwanzig war, aber in den
     verwaschenen Jeans, dem weitem Pullover und den dicken Wollsocken sah sie aus wie ein junges Mädchen, nicht älter als siebzehn.
    »Guten Tag, kommen Sie bitte herein«, sagte sie mit überraschend tiefer, rauher Stimme.
    Leontjew schaute sich im engen, mit Truhen und Kommoden vollgestellten Flur um.
    »Ist das eine Gemeinschaftswohnung?«
    »Nein, ich lebe mit meiner Großmutter zusammen. Ich darf nichts wegwerfen. Möchten Sie einen Tee?«
    »Danke, gern.«
    Sie führte Leontjew in die Küche, ließ ihn auf einem abgewetzten kleinen Sofa Platz nehmen, stellte den Teekessel auf den
     Herd, setzte sich auf einen Hocker, zündete sich eine Zigarette an und mußte sofort husten.
    »Wissen Sie, in Moskau grassiert gerade eine scheußliche Grippe. Die schleppe ich schon seit zehn Tagen mit mir rum. Entschuldigen
     Sie, ich habe Ihren Vor- und Vatersnamen vergessen.«
    »Andrej Michailowitsch. Nenne Sie mich einfach Andrej.«
    »Sie haben also den Verdacht, Andrej, daß Rakitin ermordet wurde?«
    »Sagen wir, ich schließe nicht aus, daß der Unfall möglicherweise inszeniert wurde.«
    »Dann steht die Sache schlecht.« Tatjana zuckte fröstelnd mit den Schultern. »Solche Morde werden nie aufgeklärt. Das heißt,
     aufgeklärt vielleicht schon, aber man kann nichts beweisen.«
    »Man weiß nie, was das Leben so bringt«, bemerkte der Hauptmann tiefsinnig. »Kannten Sie Rakitin schon lange?«
    »Ein knappes Jahr. Damals habe ich ein Interview mit ihm gemacht.«
    »Wann haben Sie Nikita das letztemal gesehen?«
    »Erst vor kurzem. Das Datum weiß ich nicht mehr genau, aber ich kann nachsehen. Wir haben uns gleich nach seiner Rückkehr
     aus Sinedolsk getroffen.«
    »Von wo?«
    »Aus Sinedolsk. Er war vier Tage dort und hat mich gebeten, mit niemandem darüber zu reden. Für alle anderenwar er in Antalya. Er hat sogar eine billige Pauschalreise für eine Woche gebucht.«
    »Er hat eine Reise nach Antalya gebucht und ist nach Sinedolsk geflogen? Das heißt, irgend jemand hat ihn so intensiv überwacht,
     daß eine derartige Geheimhaltung nötig war?« fragte Leontjew und schluckte nervös.
    »Ja, offenbar.«
    »Hat er Ihnen erklärt, wer und warum?«
    »Nein. Er hat sogar mir anfangs erzählt, er wolle nach Antalya. Aber ich war so beleidigt, daß er mich nicht mitnimmt« – sie
     errötete heftig –, »verstehen Sie, ich hab ihm eine Szene gemacht. Jetzt schäme ich mich dafür. Und er konnte Tränen nicht
     ertragen. Also hat er mir gesagt, daß er keineswegs in einen Ferienort fährt. Aber davon dürfe niemand, absolut niemand wissen.«
    Vielleicht wollte er dich auf diese Weise nur trösten? dachte Leontjew. Vielleicht warst du nicht seine einzige, und er ist
     mit einer anderen nach Antalya geflogen?
    »Verzeihen Sie, sind Sie wirklich sicher, daß er Ihnen die Wahrheit gesagt hat?«
    »Ganz sicher.«
    »Warum?«
    »Weil ich ihn zum Flughafen gebracht habe.«
    »Ach so, dann natürlich.« Der Hauptmann nickte. »Aber Sie haben doch sicher versucht herauszufinden, was los war. Hat er

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