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Für Nikita

Für Nikita

Titel: Für Nikita Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Polina Daschkowa
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würde wieder in
     Apathie verfallen. »Wir beide müssen entscheiden, wann wir die Urne beisetzen wollen.«
    »Ja, die Urne.« Er nickte. »Olga, wie fühlst du dich?«
    »Es geht schon. Wir müssen alle anrufen, die Totenfeier organisieren. Und eine Totenmesse bestellen.«
    »Nein«, sagte Juri hastig, ohne seine Frau anzusehen, und setzte sich neben sie aufs Sofa. Er griff nach ihrer Hand und drückte
     sie fest.
    »Was – nein? Entschuldige, Juri, was hast du gesagt?«
    »Wir sollten keine Totenmesse für Nikita lesen lassen.«
    »Wie?«
    »Ich habe vor einer halben Stunde mit Nadeshda telefoniert. Sie hat gesagt, wir sollen keine Totenmesse für ihn lesen lassen.«
    »Ich fahre zu ihr!« rief Olga und sprang auf.
    »Warte, meine Liebe. Sie kommt her. Morgen.«
    »Bist du verrückt, Juri? Sie weiß doch etwas! Warum hast du mir das nicht gleich gesagt? Nicht einmal von dem Anruf hast du
     mir erzählt! Nein, ich muß mit ihr reden. Ich kann unmöglich …«
    »Olga, beruhige dich bitte.« Er umarmte sie, drückte sie fest an sich und spürte, daß sie zitterte und schwer atmete. »Sag
     mir, glaubst du, daß Nikita tot ist?«
    »Nein«, hauchte sie an seine Schulter.
    »Richtig so. Glaub es nicht.«

Vierundzwanzigstes Kapitel
    Felix Viktjuk bedauerte es nicht, Russow, der außer sich gewesen war und die Kontrolle über sich verloren hatte, am Telefon
     die Unwahrheit gesagt zu haben. Dennoch verspürte er einen unangenehmen Nachgeschmack. Es war das erstemal, daß er einen Auftraggeber
     belogen hatte, noch dazu einen so wichtigen und in jeder Hinsicht nützlichen.
    Er hatte sich zwar nicht sonderlich um gründliche Informationen über Anton Sliwko bemüht, aber doch einiges herausgefunden.
     Er wußte, daß Sliwkos Tante Soja Astachowa war, die einstige Modeärztin und Russows treue Gehilfin bei seinem kürzlichen Techtelmechtel
     mit totalitären Sekten, seit vier Jahren Cheflektorin des Verlags »Kaskad«, in dem die Bücher von Viktor Godunow erschienen.
    Er kannte Soja Astachowa nicht persönlich, hatte sie vor einigen Jahren lediglich mehrmals flüchtig gesehen. Er war sich fast
     sicher, daß sie sich nicht an sein Gesicht erinnerte, selbst wenn sein Name ihr bekannt vorkommen sollte. Das gewährte ihm
     eine gewisse Improvisationsfreiheit. Bevor er nach Sinedolsk flog, um sich seinen verdienten Lohn abzuholen, wollte er Soja
     Astachowa einen Besuch abstatten; immerhin war sie die einzige Verwandte des verschwundenen Sliwko, und wenn irgend jemand
     etwas über seinen Verbleib wußte, dann sie.
    Er rief im Verlag an und erfuhr, die Cheflektorin sei heute nicht im Haus, sie sei krank. Er wählte ihre Privatnummer, aber
     sie ging nicht ran. Kurz nach neun Uhr abends parkte er sein Auto zwei Häuser von ihrer Wohnung entfernt.
    Die Astachowa wohnte im zweiten Stock eines neuen, mehrstöckigen Hauses. Er ging um das Gebäude herum und mutmaßte, welche
     Fenster ihre waren. In einem brannte Licht. Die Vorhänge waren aufgezogen, aber vonunten konnte man nur den oberen Teil des Raums, wahrscheinlich der Küche, ausmachen.
    Viktjuk ging zum Spielplatz im Hof, schaute sich um und stieg auf die hohe Holzrutsche. Nun sah er ein Stück Küchentisch und
     einen dunklen Haufen darauf. Viktjuk holte ein Seemannsfernglas aus seiner Aktentasche, blickte hindurch und erkannte, daß
     der Haufen eine Frau war, die den zerzausten Kopf auf die Tischplatte gelegt hatte. Neben ihr standen eine Flasche und ein
     Glas. Die Schultern der Frau bebten heftig.
    Also ist Anton Sliwko tot? fragte sich Viktjuk. Das mußte er überprüfen. Eine einsame Fünfzigjährige konnte aus allen möglichen
     Gründen trinken und weinen.
    Im Hauseingang gab es eine Wechselsprechanlage. Viktjuk wartete eine Weile, dann schlüpfte er zusammen mit zwei fröhlichen,
     angeheiterten jungen Mädchen, die ihn völlig ignorierten, hinein, stieg die Treppe hoch und öffnete mit einem unkonventionellen
     chinesischen Dietrich ohne große Mühe das italienische Standardschloß.
    Die Wohnung war teuer und geschmackvoll eingerichtet, darum fiel die Unordnung besonders auf. Die Hausherrin saß in einem
     speckigen Bademantel auf einem Hocker am Küchentisch, den Kopf auf den Armen, schluchzte und schien nichts um sich herum wahrzunehmen.
    Viktjuk, bemüht, keinen Lärm zu machen, zog den Mantel aus, hängte ihn an die Flurgarderobe und ging in die Küche.
    Soja Astachowa hob das verquollene rote Gesicht und starrte ihn aus trüben, verweinten Augen

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