Für Nikita
qualvollen Streitereien entschieden sie, daß sich Nika zunächst auf zwei Arbeitstage in der Woche beschränken würde.
Dienstags und freitags von neun bis drei hielt Nika im Sprechzimmer des Leiters der Chirurgie Sprechstunden ab. Ein Chauffeur
brachte sie zur Arbeit, am Tor wurde eine zusätzliche Wache aufgestellt. Auf inoffizielle Anordnung wurden nur ausgewählte
Patienten in ihre Sprechstunde gelassen. Die neuen Kollegen behandelten Doktor Jelagina mit spöttischem Respekt, wie ein exzentrisches
Adelsfräulein, das sich ein Kattuntuch umbindet und mit den Bäuerinnen zusammen aufs Feld geht. Dennoch fühlte sie sich in
Gesellschaft ihrer Arztkollegen wesentlich wohler als unter den Frauen der hohen Beamten. Vor allem aber – sie konnte nicht
leben ohne ihre schwere, so gar nicht weibliche Arbeit und fürchtete, ihre Qualifikation zu verlieren.
Viertes Kapitel
Die Detektei »Garantija« nahm das ganze Erdgeschoß einer alten Villa in einer Seitengasse des Arbat ein. Auf dem Hof hinter
dem schmiedeeisernen Tor standen mehrere schicke ausländische Wagen. Jegorow sah sofort, daß die Geschäfte der Detektei ausgezeichnet
liefen. Nagelneue Büromöbel und Ausstattung, gepflegte, elegant gekleidete junge Menschen.
Banditen, dachte Jegorow wehmütig, derart viel Geld haben heutzutage nur Banditen. Ich hätte nicht herkommen sollen. Sie werden
mich so ausnehmen, daß ich den Rest meines Lebens die Schulden abzahle.
»Guten Tag.« Die hübsche Sekretärin lächelte ihn an. »Was kann ich für Sie tun?«
»Meine Frau und meine beiden Söhne sind in eine Sekte geraten«, erklärte Jegorow düster, »und ich möchte Informationen über
diese Sekte einholen.«
»Hat Ihnen jemand unser Büro empfohlen? Oder haben Sie uns durch unsere Werbung gefunden?«
»Ich komme auf Empfehlung.« Jegorow reichte ihr die Visitenkarte des Anwalts. »Man hat mir gesagt, Sie würden für Ihre Dienste
nicht sehr viel verlangen.«
»Ja, unsere Preise sind gemäßigt.« Die Sekretärin lächelte. »Einen Augenblick.« Sie griff zum Telefonhörer und sagte in singendem
Tonfall: »Felix Michailowitsch, hier ist jemand für Sie.«
In dem gemütlichen kleinen Büro saß an einem antiken Eichentisch ein älterer, beleibter Herr mit rotblondem Bärtchen und von
roten Locken umrahmter rosaglänzender Halbglatze. Er roch nach teurem Aftershave.
»Bitte kommen Sie herein.« Der Dickwanst stand halb auf und streckte ihm die Hand hin. »Felix Michailowitsch Viktjuk, Privatdetektiv.«
Jegorow drückte die mollige Hand und stellte sich vor.
»Sehr angenehm, Iwan Pawlowitsch. Nehmen Sie Platz. Ich bin ganz Ohr.« Seine Stimme klang weich und samtig, und er sah Jegorow
so sanft, so voller Mitgefühl an, daß diesem für einen Augenblick ganz mulmig wurde.
Jegorow schilderte dem Dickwanst sein Anliegen. Der hörte mit nachdenklichem Lächeln zu, ohne ihn zu unterbrechen, und trommelte
mit seinen kurzen, molligen Fingern lautlos auf dem Tisch.
Als Jegorow fertig war, nickte Viktjuk zufrieden und fragte mit honigsüßer Stimme: »Sagen Sie, Iwan Pawlowitsch, warum glauben
Sie, daß das eine Sekte ist?«
»Was denn sonst?« fragte Jegorow verblüfft.
»Seien Sie doch nicht so nervös, wir werden uns bemühen, Ihnen zu helfen.«
»Ich bin überhaupt nicht nervös. Ich will wissen, was mit meiner Familie vorgeht. Daß sie in eine Sekte geraten sind, das
steht für mich außer Zweifel. Ich muß herausfinden, wer diese Sekte leitet, wer sie finanziert, wer ein Interesse daran hat,
Frauen und Kindern den Kopf zu verwirren.«
»Von wegen, Sie sind nicht nervös.« Viktjuk lächelte liebevoll. »Ich habe Erfahrung, ich sehe doch, daß Sie in einer extremen
Streßsituation sind. Ich will Sie gleich beruhigen: An dem, was ich eben von Ihnen gehört habe, ist nichts Schlimmes. Ihre
Frau und Ihre Kinder sind in keiner Sekte. Das ist, wenn Sie so wollen, eine Art Interessenkreis oder Gesundheitsgruppe, mehr
nicht. Yoga, neue Ernährungslehren, Abhärtung, Gesunderhaltung – das ist jetzt in Mode. Was die Frau in Schwarz angeht, die
Sie angeblich k. o. geschlagen und rausgeworfen hat« – über das weiche Gesicht huschte ein spöttisches Lächeln –, »entschuldigen
Sie, aber sehen Sie sich doch einmal an: Ein gesunder, kräftiger Mann, Pilot, und eine Dame soll Sie k. o. geschlagen haben?«
»Hören Sie!« Jegorow wurde ungeduldig. »Ich lasse mich nicht für dumm verkaufen! Die Kinder gehen nicht mehr in
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