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Für Nikita

Für Nikita

Titel: Für Nikita Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Polina Daschkowa
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fühlte sich Nikita schon viel ruhiger und sicherer. Nun mußte
     er nur noch einen Unterschlupf finden. Theoretisch konnte man für rund dreihundert Dollar im Monat eine anständige Einzimmerwohnung
     in einem Schlafbezirk finden. Er brauchte die Wohnung gleich heute, ein Telefon hatte er nicht, an seine Freunde konnte er
     sich nicht wenden, und er durfte möglichst nicht seinen Namen nennen, keinem seine Papiere zeigen und mußte sein Gesicht verbergen,
     damit die potentiellen Vermieter ihn nicht erkannten und keine überflüssigen neugierigen Fragen stellten.
    Nikita kaufte an einem Zeitungskiosk mehrere Zeitungen und ein Dutzend Telefonchips, setzte sich in ein Straßencafé, studierte
     die Anzeigen, unterstrich ein halbes Dutzend, die ihm geeignet erschienen, und ging zu einem Telefonautomaten.
    Bei den ersten beiden Nummern war ein Anrufbeantworter dran, bei dreien nahm niemand ab. Erst beim sechsten Anruf meldete
     sich eine Frauenstimme.
    »Na was, von mir aus heute, echt. Komm vorbei.« Die Frau duzte ihn sofort und schien angetrunken zu sein.»Also, du fährst bis Sokolniki, dann gleich rechts …« Den Hörer ans Ohr gepreßt, schrieb Nikita die Adresse auf.
     
    Es war ein schmutziger, halbverrotteter fünfgeschossiger Plattenbau. Im Treppenhaus hörte er eine Frau keifen, und als er
     in den obersten Stock stieg, wäre er beinahe über einen zerlumpten kleinen Mann gestolpert, der die Stufen heruntergerollt
     kam.
    Eine füllige junge Frau, hochrot wie nach der Sauna, in weiten grünen Nylonjogginghosen mit knallroten Paspeln, einem kurzärmligen
     schwarzen Pulli mit Spitze und Goldglimmer, stand in der Tür, die Arme in die Hüften gestemmt, und rief dem Mann gellende
     saftige Flüche nach. Bei Nikitas Anblick verstummte sie sofort und strich sich kokett das zitronengelb gebleichte Haar glatt.
    »Du hast wegen der Wohnung angerufen, ja? Komm rein.«
    Nikita betrat den mit Pappkartons vollgestellten Flur. In der Wohnung hing ein dichter, abgestandener Geruch nach Schweiß
     und Alkoholausdünstungen. Die Luft war so voll Zigarettenqualm, daß ihm davon die Augen brannten. Im einzigen Zimmer, dessen
     Wände mit rotgrünen Teppichen vollgehängt waren, saßen fünf Kaukasier um einen Tisch herum. Als sie Nikita bemerkten, verstummten
     sie abrupt und starrten ihn durchdringend an.
    »Ich glaube, ich bin hier falsch, Entschuldigung«, sagte Nikita und wollte zwischen den Pappkartons hindurch zurück zur Tür.
    »Nein, nein, hier biste richtig«, ermunterte ihn die Frau, »ich verlang auch nich viel, bloß fünfhundert Dollar im Monat.
     Reich deinen Ausweis rüber und die Miete für’n halbes Jahr im voraus.«
    »Nein. Ich suche was für einen Monat. Und fünfhundert, das ist zu teuer. Danke, alles Gute.«
    »Zu teuer, du spinnst wohl? He, das is ne tolle Bude: Hier, kuck mal, die Teppiche, das Fenster geht auf ’n Hof raus, kein
     Lärm, die Metro gleich nebenan, Telefon, Fernseher, Videorecorder, kannste alles benutzen, sind auch Erotikkassetten da«,
     rasselte die Frau herunter und hielt ihn am Arm fest.
    »Moment, hör mal, so geht das nich, echt.« Zwei Kaukasier standen vom Tisch auf. Ihre Augen waren vom Trinken gerötet; Nikita
     stieß die den Flur versperrende Frau unsanft beiseite, stürzte aus der Wohnung und die Treppe hinunter, noch schneller als
     der zerlumpte Kerl vorhin. Auch er wurde von saftigen Flüchen begleitet.
    In einem stinkenden Durchgangshof verschnaufte er. Der Regen hatte aufgehört, doch der Himmel war nun ganz schwarz, der Wind
     peitschte Nikita ins Gesicht und zauste die Linden über ihm. Nikita dachte, daß es wohl gleich richtig heftig regnen würde,
     hatte aber nicht die Kraft, schneller zu laufen. Langsam schlurfte er zur Metro.
    Ihn überkam totale Gleichgültigkeit, er wollte einfach zurück nach Hause, eine heiße Dusche nehmen und sich schlafen legen
     – egal, was passierte.
    Bis zur Metro war es noch weit, und er schlüpfte in ein zweifelhaft wirkendes kleines Café. Zwei Tische waren besetzt. Daran
     saß eine Gruppe Bauarbeiter in Arbeitskleidung beim Mittagessen. Nikita ging zur Selbstbedienungstheke.
    »Haben Sie eine Suppe?« fragte er die Frau an der Ausgabe.
    »Einen guten Borschtsch. Möchten Sie?«
    »Ja. Und Wodka?«
    »Stolitschnaja.«
    »Hundert Gramm bitte.«
    Nikita setzte sich an einen Ecktisch, möglichst weit wegvon den lärmenden Bauarbeitern, trank genüßlich einen Schluck Wodka, aß ein Stück Schwarzbrot dazu und löffelte seinen

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