Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Für Nikita

Für Nikita

Titel: Für Nikita Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Polina Daschkowa
Vom Netzwerk:
ob sie ihrem Mann Sinas Besuch und die anonymen Briefe
     verschweigen sollte, sagte aber nun die Unwahrheit und fand, es sei besser so.
    »Wer hat dich denn angerufen? Seine Eltern sind doch, soviel ich weiß, in Washington.«
    »Mascha.«
    »Komisch. Wieso das auf einmal? Und woher hat sie unsere Nummer?«
    Nika schwieg. Russow sah sie zärtlich und aufmerksam an, und sie schämte sich ein wenig. Sie hätte ihm lieber gleich die Wahrheit
     sagen sollen. Obwohl – er hatte mit dem monatelangen Wahlkampf und den Problemen seines bevorstehenden Amtes genug um die
     Ohren.
    »Willst du zur Beerdigung nach Moskau?« fragte er und umfaßte von hinten ihre Schultern.
    »Natürlich. Und du?«
    »Du weißt doch, ich kann nicht.« Er rieb seine Wange an ihrer und seufzte. »Einfach furchtbar, das Ganze, und so unsinnig.
     Mit siebenunddreißig …«
    »Achtunddreißig«, korrigierte sie.
    An diesem Abend verloren sie kein Wort mehr über Nikita. Als sie im Bett lagen, flüsterte er ihr ins Ohr: »Sag mir, mein Glück,
     wohin bist du heute aus dem Krankenhaus verschwunden?«
    »Ich hatte Lust auf einen Spaziergang.«
    »Du hättest dem Fahrer Bescheid sagen können. Der Ärmste hat sich Sorgen gemacht. Ach, übrigens, was war das für eine Frau,
     die da in deine Sprechstunde gestürmt kam?«
    »Eine ehemalige Patientin aus Moskau.«
    »Und wer ist sie, wenn ich fragen darf?«
    »Ach, ich hatte eine Menge Patienten. Du kennst sie nicht.«
    »Bist du sicher, daß du zur Beerdigung willst?«
    »Das habe ich doch gesagt – natürlich.«
    »Das ist nicht mehr Nikita. Nur ein geschlossener Sarg. Ich finde, du solltest da nicht hin. Du bist erschöpft, deine Nerven
     …«
    »Ich bin in Ordnung, Grischa.«
    »Willst du wieder die Starke spielen?«
    »Hör auf, Grischa.«
    »Schon gut. Hast du schon entschieden, was du zur Amtseinführung anziehst?«
    »Ist das so wichtig?«
    »Und wie.« Er tastete nach ihrer Hand und preßte sie an seine Wange. »Das blaue Kleid. Das ich dir aus London mitgebracht
     habe. Ja?«
    »Entschuldige, Grischa, ich möchte schlafen, ich bin müde.« Sie rückte von ihm ab, drehte sich zur Wand und murmelte wie im
     Halbschlaf: »Wann hast du eigentlich Nikita das letztemal gesehen?«
    »Das ist lange her.« Russow seufzte. »Bestimmt drei Jahre. Ich erinnere mich nicht genau.«
    Sie schwieg. Sie wußte, daß er log.
     
    Der Belorussische Bahnhof erwies sich für Jegorow als Sackgasse. Er konnte nur raten, wohin Oxana und Slawik gefahren waren.
     Vom Belorussischen Bahnhof gingen viele Züge ab, Rußland war groß.
    Hätte Ira ihm die Wahrheit gesagt und ihm den Kasaner Bahnhof genannt, dann hätte er eine winzige Chance gehabt – irgend jemand
     hätte sich vielleicht zufällig erinnern können.
    Fedja wurde von der Intensivstation in ein normales Zimmer verlegt. Und eines Tages paßte Jegorow Grischa Russow im Hof des
     Ministeriums vor seinem Wagen ab.
    »Wohin wurden sie gebracht?« fragte er, Russows Hand fest umklammernd.
    »Wer? Wovon redest du?«
    »Du hast mich genau verstanden, Russow. Ich will nur eins wissen: Wo sind meine Frau und mein Sohn?«
    »Hör mal, Alter, ich verstehe ja, du hast Kummer, deine Frau ist dir weggelaufen. Das tut mir sehr leid, aber entschuldige,
     wie soll ich dir da helfen?«
    »Ist das deine Unterschrift?« Jegorow hielt ihm die offizielle Auskunft über die Gruppe der Astachowa hin.
    Russow nickte. »Und? Die Gruppe ›Gesunde Familie‹ trifft sich jetzt im ehemaligen Kino Wostok, in der Nähe der Metrostation
     Akademitscheskaja. Du kannst gern hingehen und dich davon überzeugen.«
    »Dann war das eine andere Gruppe, mit der die Astachowa nichts zu tun hatte. Der Leiter war ein Asiat namens Shanli. Du kennst
     ihn, Grischa. Ihr habt vor etwa einem Monat im Restaurant ›WEST‹ zusammen gegessen.«
    »Du drehst schon total durch, Jegorow. Paß bloß auf, daß sie dich bei der Aeroflot nicht aus gesundheitlichen Gründen entlassen.«
    »Spar dir die Mätzchen. Wo sind sie? Bei Shanli waren rund zwanzig Leute. Wahrscheinlich werden sie jetzt alle vermißt. Wer
     brauchte diese Leute und wozu?«
    »Hör zu, Jegorow« – Russow maß ihn mit einem kalten Blick –, »ich schätze unsere Jugendfreundschaft, und es tutmir wirklich leid, daß dein Privatleben so schiefgelaufen ist. Aber ich kann dir absolut nicht helfen.«
    »Normalerweise preßt eine Sekte ihren Opfern Geld, Eigentum und Wohnung ab. Aber dein Guru Shanli wollte offenbar etwas anderes.
     Was genau?

Weitere Kostenlose Bücher