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Für Nikita

Für Nikita

Titel: Für Nikita Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Polina Daschkowa
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und wandte sich ab vom Blitzlicht.
    Eine kräftige, zwei Meter große Gestalt bahnte sich durch die Menge den Weg zu ihm. Igor Simkin, der Chef seiner Leibwache.
     Blaß und verschwitzt trat er ganz nah an Russow heran und flüsterte ihm ins Ohr: »Ihre Frau ist soeben nach Moskau geflogen.«
    Russow schluckte, leckte sich hastig die trockenen Lippen und verließ den Saal, ohne jemanden anzusehen. Der Chef der Leibwache
     folgte ihm.
    »Gib per Funk durch, sie sollen das Flugzeug umkehren lassen«, befahl der Gouverneur zischend. »Nein, Quatsch, das geht nicht.
     Kümmere dich darum, daß sie in Moskau empfangen wird. Schick meine Maschine hinterher, damit soll sie von Tuschino zurückfliegen,
     gleich heute.«
    »Sie sollte doch eigentlich erst übermorgen fliegen, mit Ihrer Maschine, statt dessen hat sie heute einen normalen Linienflug
     genommen«, murmelte der Bodyguard verwirrt.
    »Behalt deine Gedanken für dich«, schnauzte der Gouverneur dumpf. »Wer hat sie zum Flughafen gefahren? Wer hat die Tickets
     gekauft?«
    »Das Auto hat in einer Nebenstraße gewartet.«
    »Was für ein Auto?«
    »Das klären wir gerade. Wir haben schon einen Zeugen. Er sagt, es war ein Saporoshez.«
    »Die Nummer hat sich euer Zeuge natürlich nicht gemerkt.«
    »Es war dunkel.« Simkin zuckte die Achseln.
    »In Moskau empfangen und zurückbringen«, knurrte der Gouverneur, drehte sich abrupt auf dem Absatz um und ging wieder in den
     Bankettsaal.
    »Und wenn …?« setzte Simkin, der ihm hinterhereilte, verwirrt an.
    »Wenn ihr auf dem Flugplatz schlecht wird, sollen sie sie trotzdem nach Tuschino bringen. Medizinische Hilfe bekommt sie dann
     an Bord meiner Maschine.«
    »Aber wenn ihr schlecht wird«, wandte der Chef der Leibwache in scharfem Flüsterton ein, »ist ein Skandal kaum zu vermeiden,
     fürchte ich.«
    Sie standen schon an der Tür zum Bankettsaal.
    »Meine Frau ist ein sehr sensibler, verletzlicher Mensch«, sagte der Gouverneur laut in ein Reportermikrofon, »wir haben eine
     schwere Zeit hinter uns, der Wahlkampf war ja, wie Sie wissen, äußerst angespannt, und meine Frau hat sehr gelitten unter
     dem Schmutz, mit dem die Konkurrenten und die von ihnen gekaufte Presse uns beworfen haben. Sie Journalisten haben sie keinen
     Augenblick in Ruhe gelassen, das hat sehr an ihren Nerven gezehrt. Jetzt braucht sie dringend Erholung, womöglich sogar ärztliche
     Behandlung. Ich beabsichtige, sie zur Kur in die Schweiz zu schicken. Dieser unser Sieg hat sie zu viel gekostet.«
    »Wollen Sie damit sagen, Ihre Frau hatte einen Nervenzusammenbruch?«
    »Meine Frau ist einfach erschöpft. Aber Sie, Herr Journalist,sollten sich an einen Arzt wenden. Sie leiden eindeutig an gestörtem Taktgefühl.«
    Zwei kräftige Bodyguards drängten den dürren Reporter zurück. Er wehrte sich nicht. Er verließ den Bankettsaal und das Gebäude,
     überquerte rasch den Platz vorm Konzertsaal, bog in eine dunkle Gasse, blickte sich um, und als er sicher war, unbeobachtet
     zu sein, zog er ein Handy aus der Tasche und wählte eine Moskauer Nummer – den Diensthabenden der Gesellschaftsredaktion seiner
     Zeitung.
    »Schickt sofort jemanden zum Flughafen Domodedowo, zu der Maschine aus Sinedolsk. Russows Frau ist direkt von der Amtseinführung
     abgehauen und nach Moskau geflogen, vor einer halben Stunde. Schießt so viele Fotos wie möglich, und wenn ihr ein Interview
     kriegen könntet, das wäre super.«
     
    Die Stewardeß blickte, während sie hin und her lief, immer wieder zu den beiden Frauen in der fünften Reihe. In den anderthalb
     Jahren, die sie nun flog, sah sie zum erstenmal zwei so unterschiedliche Menschen zusammen reisen und sich unterhalten wie
     enge Freundinnen.
    Das Gesicht der einen kam ihr bekannt vor; sie überlegte krampfhaft, wo sie die gepflegte, schlanke Dame im strengen, sündhaft
     teuren dunkelblauen Kleid schon mal gesehen hatte. So angezogen stieg selten jemand ins Flugzeug.
    »Schnallen Sie sich bitte an«, mahnte sie die beiden Frauen.
    »Ja, natürlich.« Die Nachbarin der blaugekleideten Dame nickte und schenkte der Stewardeß ein breites Lächeln. Ihr fehlten
     die beiden oberen Schneidezähne.
    Die habe ich bestimmt noch nie gesehen, konstatierte die Stewardeß. Aber was können die beiden gemeinsam haben?Die Begleiterin der blauen Dame nannte sie in Gedanken Pennerin. Sie machte den Eindruck, als habe sie mehrere Nächte auf
     einem Bahnhof oder Flughafen verbracht, ungewaschen und ungekämmt.

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