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Für Nikita

Für Nikita

Titel: Für Nikita Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Polina Daschkowa
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Blut? Organe? Kostenlose Arbeitskräfte?«
    »Na klar, wenn dir die Frau wegläuft, denkst du natürlich lieber, irgendwelche Bösewichte hätten sie gewaltsam entführt.«
     Russow lachte spöttisch.
    »In Fedjas Blut wurden starke Drogen gefunden. Die Ärzte sagen, der Junge sei nicht nur hypnotisiert, sondern auch mit Elektroschocks
     behandelt worden. Russow, ich bring dich um, wenn du mir nicht sagst, wohin sie Oxana und Slawik geschafft haben.«
    »Hör mal, Iwan, ich bin ein weicher und geduldiger Mensch, aber alles hat seine Grenzen.« Russow schlug die Autotür zu und
     gab Gas.
    Am Abend bekam Jegorow einen Anruf aus dem Krankenhaus: Fedjas Zustand sei erneut kritisch. Wieder verbrachte Jegorow seine
     Tage im Krankenhaus und fuhr nur zum Übernachten nach Hause.
    Eine Woche später mußte er zur Routineuntersuchung zum Betriebsarzt.
    »Iwan Pawlowitsch, Sie dürfen vorerst nicht fliegen«, sagte man ihm, »Sie leiden an akuter nervöser Erschöpfung. Ihr Kardiogramm
     zeigt deutliche Herzrhythmusstörungen, Sie haben sieben Kilo abgenommen. Sie sollten sich ernsthaft um Ihre Gesundheit kümmern.«
    »Gut, das werde ich tun«, versprach Jegorow.
    »Passen Sie auf, Sie dürfen sich nicht so vernachlässigen, sonst müssen wir Sie womöglich wegen Berufsunfähigkeit vorzeitig
     pensionieren.«
    »Ja, natürlich.«
    Jegorow wollte so schnell wie möglich zu Fedja ins Krankenhaus und hatte keine Zeit für Debatten über seine Gesundheit.

Neuntes Kapitel
    Die feierliche Amtseinführung fand im pompösesten Gebäude von Sinedolsk statt, in einem Konzertsaal mit tausend Plätzen. Den
     Bühnenhintergrund zierte ein Mosaik in Gelb und Dunkelrot, eine Komposition aus Ähren, Sensen und Bannern mit Fransen. Die
     Veranstaltung wurde vom lokalen und vom zentralen russischen Fernsehen live übertragen. Eine der Kameras zeigte das Gesicht
     des frischgebackenen Gouverneurs ein wenig zu nah – unschön glänzende Schweißtropfen auf der Stirn, ein bleifarbener Teint,
     der von schlaflosen Nächten zeugte, geschwollene rote Lider. Die Kamera wich sofort zurück, als hätte sie sich verbrannt,
     und glitt über den Saal. In der ersten Reihe, zwischen einem rundlichen, glatzköpfigen Bankier und einem attraktiven, grauhaarigen
     Mann in Generalsuniform, saß die Frau des Gouverneurs, Veronika Sergejewna. Geradezu erleichtert verharrte die Kamera auf
     ihrem Gesicht. Es war wie immer ruhig. Die großen, klaren hellbraunen Augen blickten kalt und traurig in die Kamera. Eine
     schlanke weiße Hand flog kurz auf und rückte eine Haarnadel im schweren Nackenknoten zurecht.
    Der Metropolit betrat die Bühne, ein beleibter Mann mit dichtem, scheckigem Bart. Seine breiten grauen Augenbrauen zogen sich
     angeekelt zusammen, als die feuchten Lippen des Gouverneurs seine Hand berührten. Russow schwor bei Gott, er werde für das
     Wohl seines Volkes wirken, ohne sich zu schonen, und kämpfen für das Aufblühen des ihm anvertrauten Gebiets, das doppelt so
     groß war wie die Schweiz und so arm wie zehn kriegführende afrikanische Provinzen.
    Der Gouverneur legte seine mollige, dickfingrige Hand auf den vergoldeten Einband der Heiligen Schrift.
    »Ich schwöre«, wiederholte er dumpf.
    »Im Namen des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.« Mit einer ausladenden Bewegung schlug der Metropolit das
     Kreuz über dem gesenkten runden Kopf, über dem rasierten Stiernacken, flüsterte dabei lautlos, ohne die Lippen zu bewegen:
     »Verzeih mir, Herr« und verließ mit der seinem Amt angemessenen Würde die Bühne.
    Die ersten Takte der neuen russischen Nationalhymne ertönten. Der Saal erhob sich. Russow fuhr sich mit der Zunge über die
     Lippen.
    Ein gewaltiges Stück Sibirien voller toter Bohrtürme, überwuchert von Taiga, windschiefen verwilderten Dörfern, Sonderlagern,
     versoffenen Kriminellensiedlungen und schwarzweißen Plattenbaustädten, das in seinem kalten Schoß Erdöl, Gold, wertvolle Buntmetalle
     und strategisch wichtige Rohstoffe barg, war nun in seiner Hand.
    Die Hymne verklang. Nach einigen Augenblicken Stille ertönte von den hinteren Reihen vereinzelter Beifall, der sich wie eine
     Welle fortsetzte und anschwoll. Dieser Beifall galt Russow.
    Die versammelten Beamten, dickbauchigen, behäbigen Banditen, Stadtväter, Kriminellen, Besitzer der großen Banken, Direktoren
     der bankrotten Betriebe und streikenden Gruben, Kohle- und Erdölkönige applaudierten ihrem zuverlässigen Favoriten, begrüßten
     den

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