Für Nikita
hin. Ihre Augen
wirkten wie riesige schwarze Löcher. Nikita senkte den Kopf und drehte mechanisch seinen Ehering.
Oma Anja hatte sich mit der Größe der Ringe ein wenig verschätzt – Nikas war zu groß, und Nikita bekam seinen nur mit Mühe
auf den Finger. Jahre später, als seine Hände gröber und die Fingergelenke dicker geworden waren, ließ sich der Ring nicht
mehr abziehen. Nikita versuchte es auch gar nicht. Er trug ihn weiter, trotz allem.
Vierzehntes Kapitel
»Ich habe Ihnen doch gesagt, mein Anton hatte keine persönlichen Angelegenheiten außer unserer Liebe!« Raïssa Kudijarowa sah
Hauptmann Leontjew mit irren Augen an und schrie so, daß sie Speichel sprühte.
»Das war doch gar nicht meine Frage.« Der Hauptmann wischte sich rasch mit dem Taschentuch das Gesicht ab. »Ich will wissen:
Hat Ihr Lebensgefährte in den sieben Tagen irgendwann die Wohnung verlassen?«
»Nein, das habe ich doch gesagt!«
»Das heißt, er war die ganze Zeit Tag und Nacht bei Ihnen?«
»Tag und Nacht! Das ist erhabene Leidenschaft, das verstehen Sie nicht.«
»Na schön, und Sie selbst, haben Sie die Wohnung auch die ganze Zeit nicht verlassen?«
»Doch, natürlich habe ich das! Wir mußten doch was essen! Mein lieber Anton hat mir Geld gegeben, und ich bin einkaufen gegangen.«
»Kann er währenddessen hinausgegangen sein?«
»Wozu?«
»Na ja, ich weiß nicht, aber sieben Tage eingesperrt zu sein, das ist doch für einen gesunden Mann …«
»Er war nicht eingesperrt! Wir haben uns geliebt!«
Bei einer Haussuchung wurde in ihrer Wohnung ein ganzes Waffenarsenal gefunden: eine Kalaschnikow, eine TT-Pistole, beide
nagelneu, eine Schachtel Patronen, eine Packung Plastiksprengstoff. Außerdem in einer Kaffeebüchse ein weißes Pulver mit charakteristischem
Geruch – eine starke synthetische Droge. Und in einem Briefumschlag mit LSD getränkte Papierstreifen.
Die Kudijarowa hatte die Angewohnheit, vom Müll alles mitzunehmen, was ihr gefiel: Kleidung, bunte Plastetüten, ausländische
Dosen, Shampooflaschen, Bruchstücke kaputter Möbel.
Als die Kriminalisten unter einem Haufen stinkender Lumpen die Waffen hervorholten, zuckte die Kudijarowa nicht einmal mit
der Wimper.
»Gehört das Ihnen?«
»Ja.« Sie nickte.
»Wissen Sie, was das ist?«
»Ja. Eine Pistole und eine Maschinenpistole.«
»Wie sind Sie zu den Waffen gekommen?«
»Die hab ich gefunden.«
»Wo? Wann?«
»Im Müllcontainer!
»In welchem genau?«
»Als ob ich das noch wüßte!«
»Wissen Sie, daß der Besitz von Schußwaffen strafbar ist?«
»Sie sollten lieber meinen Anton suchen, statt in fremden Sachen rumzuwühlen, das sage ich Ihnen.«
»Also, Bürgerin Kudijarowa, fangen wir noch mal von vorn an, schön der Reihe nach. Wo und wann haben Sie den Bürger Anton
kennengelernt?«
»Am zweiten Mai diesen Jahres. In der Apotheke«, wiederholte die Alte ungerührt, wie auswendig gelernt, zumzehntenmal. »Sie wollten ihm seine Medikamente nicht verkaufen.«
»Raïssa Michailowna, am zweiten Mai war die Apotheke geschlossen«, sagte der Hauptmann leise und staunte selbst, daß ihm das
erst jetzt eingefallen war.
»Hier, ich habe es im Kalender markiert.« Die Kudijarowa pikte mit dem Finger auf einen Wandkalender mit einer Japanerin im
bunten Kimono. Der Kalender war zwar für 1995, aber auf der Seite für Mai aufgeschlagen – der zweite war mit einem dicken
roten Herz eingekreist.
»Haben Sie das selbst markiert?«
»Ja« – die Kudijarowa senkte den Blick –, »das habe ich. Das war der glücklichste Tag in meinem Leben.«
»Na schön.« Der Hauptmann nickte. »Weiter – was war dann?«
»Dann kam die Liebe.« Die Alte seufzte traurig. »Das verstehen Sie nicht.«
Sie wurde nicht festgenommen. Immerhin gab es noch eine schwache Hoffnung, daß ihr Anton zurückkam, um seinen Kram abzuholen.
Hauptmann Leontjew beschloß, das Haus für alle Fälle beobachten zu lassen.
In der Apotheke kannte man die Kudijarowa. Die Alte verbrachte relativ viel Zeit dort, und man jagte sie nicht fort.
»Aber nein, das ist völlig ausgeschlossen«, wehrte die Leiterin der Apotheke lebhaft ab, »man kann doch nicht auf Bitten eines
psychisch kranken Menschen Medikamente ohne Rezept verkaufen. Es geht doch vermutlich um Psychopharmaka?«
»Wie kommen Sie darauf?« fragte Leontjew.
»Weil nur ein psychisch kranker Mensch ein Gespräch mit der Kudijarowa anfängt. Jemand, der genauso ist wie sie. Ich meine,
ein
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