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Für Nikita

Für Nikita

Titel: Für Nikita Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Polina Daschkowa
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ernsthaftes Gespräch.«
    »Gut, danke.« Der Hauptmann lachte bitter und dachte:Stimmt, man muß schon verrückt sein, um ernsthaft mit so einer Alten zu reden. Und man muß doppelt verrückt sein, um sich
     in diesen aussichtslosen Fall zu stürzen, der gestern noch gar keiner war.
    In diesem Haus, im Nachbaraufgang, hatte es einen Unfall gegeben. Keiner war auf die Idee gekommen, dahinter etwas Kriminelles
     zu vermuten. Im Haus fiel häufig der Strom aus. Fast in jeder Wohnung gab es Kerzen und Petroleumlampen. Die Feuerwehrleute
     hatten versichert, der Brand sei durch verschüttetes Petroleum ausgebrochen. Der Tote hatte einen schweren Stromschlag erlitten,
     das Bewußtsein verloren, war beim Sturz mit der Schläfe gegen eine Ecke des Fensterbretts geprallt und bis auf die Knochen
     verbrannt.
    Aber an den »sauberen« Unfalltoten hatte sich auf einmal dieser unselige liebe Anton gehängt, obendrein mit Waffen und Drogen
     im Gepäck.
    Der Teufel mußte Leontjew geritten haben, beim Staatsanwalt einen Durchsuchungsbefehl zu erwirken für die Wohnung der Kudijarowa,
     die eine Vermißtenanzeige erstattet hatte wegen ihres jungen Lebensgefährten Anton, was an sich schon der reine Schwachsinn
     war – diese Oma und ein Lebensgefährte!
    Im Haus Nummer vierzig in der Sredne-Sagorski-Gasse war die Miliz Stammgast. Hier passierte ständig was – Brände, Überschwemmungen,
     Gasexplosionen, Stromausfälle; dauernd wurde jemand erschlagen, erstochen, aus dem Fenster geworfen.
    Apartmentwohnungen: direkt hinter der Eingangstür eine winzige Sanitärzelle mit Dusche und Toilette. Dort befand sich auch
     das Waschbecken, das zugleich als Spüle diente. Ein Zimmer von acht Quadratmetern; nur ein einziges Fenster.
    In diese Wohnzellen stopften Wohnungsspekulanten einsame alte Leute und Alkoholiker. Das nannte sich Umzug von groß in klein
     mit Wertausgleich. Der »Wertausgleich« war schnell vertrunken und aufgegessen, und dann nahmen die Mieter alle möglichen Leute
     bei sich auf: kleine kaukasische Händler, Zigeuner, billige Prostituierte mit ihren Kunden. Oder sie vermieteten ihre Kämmerchen
     als Lager für minderwertigen Wodka mit Markenetikett, für Drogen oder Waffen. Hier fand man also immer etwas Interessantes.
    Im Gegensatz zu den anderen Mietern hatte Raïssa Kudijarowa nie jemanden aufgenommen und keinen Lagerraum vermietet. Das war
     zuverlässig bekannt, nicht nur durch die Nachbarn, sondern auch durch den zuständigen Milizionär. Wenn in ihrer Wohnung plötzlich
     ein Mann aufgetaucht war, noch dazu ein junger, dann tratschte darüber bestimmt die ganze Etage und der ganze Aufgang.
    Doch die Nachbarn versicherten einhellig, in der Wohnung der Kudijarowa habe es nie einen Mann gegeben. Weder einen jungen
     noch einen alten. Bei der Anordnung der Hausflure war es ziemlich schwierig, unbemerkt ein und aus zu gehen. Höchstens durch
     Zufall. Aber ihn hatte auch niemand gehört. Die Wände waren so dünn, daß selbst ein leises Hüsteln fünf Wohnungen weiter drang.
     Angenommen, der liebe Anton hatte die ganze Zeit nicht gehustet, nicht geniest und auch nicht geredet. Angenommen, er hatte
     sich lautlos fortbewegt wie ein Schatten. Er war überhaupt ein Gespenst, die schwerelose Frucht der erotischen Phantasie einer
     verrückten Alten. Doch die Waffen und die Drogen waren keine erotische Phantasie. Irgend jemand mußte die schließlich bei
     der Kudijarowa versteckt haben – die hatte sie ja nicht wirklich auf dem Müll gefunden.
    Na schön, sagen wir, die hat ihr jemand zur Aufbewahrung gegeben. Nicht Anton, sondern jemand Realeres.Realer, aber ebenso verrückt wie die Kudijarowa selbst – da hatte die Apothekerin ganz recht. Doch woher hatte ein psychisch
     Kranker fabrikneue Waffen? Und solche Mengen Drogen? Auch auf dem Müll gefunden?
    Es gab noch eine Variante. Die Kudijarowa war gar nicht so verrückt. Sie wollte sich ein paar Hunderter verdienen und hatte
     dafür die Waffen und die Drogen bei sich verwahrt. Aber wieso zum Geier dann die Anzeige bei der Miliz?
    Und schließlich – was hatte das alles mit dem Feuer im Nachbaraufgang zu tun, das just in der Nacht ausbrach, als der liebe
     Anton verschwand? Und mit dem umgekommenen Schriftsteller? Alles nur Zufall?
    Beide Wohnungen, die von der Kudijarowa und die von der Resnikowa, lagen im obersten, im vierten Stock. Neben dem Fenster
     der Kudijarowa war eine Feuerleiter – über die konnte man durchaus hinunter auf die Straße gelangen.

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