Für Nikita
Augen, ihren Vater und ihre Mutter, und fürchtete nichts so sehr, wie schuld zu
sein an einer Schaffenskrise, auch wenn die bei Nikita nur selten vorkamen und lediglich von Erschöpfung herrührten.
Nikita, verwöhnt von Mutter, Großmutter und Kinderfrau, hatte kaum eine Vorstellung davon, was Alltag bedeutete. Nika wußte
das sehr viel besser und hatte Angst, ohne genau sagen zu können, wovor eigentlich.
Sie lebten zwar zusammen, aber in zwei Haushalten. Früher oder später wäre daraus vermutlich eine normale Ehe geworden, denn
sie liebten sich wirklich sehr.
Grischas Auftauchen blieb anfangs ziemlich unbemerkt. Mit der Zeit ging er sowohl bei den Rakitins wie auch bei Nika ein und
aus, erst als zufälliger Gast, dann als Freund von Sina und schließlich nur so. Er hatte die Gabe, immer im rechten Augenblick
zur Stelle zu sein.
Hätte damals jemand zu ihr gesagt: Dieser düstere provinzielle Schweiger, der Sohn eines hohen Tiers aus Sibirien, das wird
mal dein Mann – wäre sie entsetzt gewesen und hätte wahrscheinlich gelacht. Wer? Grischa? Nie im Leben!
Übrigens war er keineswegs einfältig. Er studierte immerhin Psychologie. Und eine eigene Wohnung in Moskau besaß er auch.
Er kam nie mit leeren Händen, in seiner schicken ausländischen Tasche waren immer diverse Delikatessen aus einem Parteiladen.
Sobald im Haus irgendwas kaputtging,reparierte er es, still und schnell. Bei einer Party fand Nika ihn einmal in der Küche an der Spüle vor – beim Abwaschen.
Auf die Idee wäre Nikita nie gekommen.
Einmal ging die Mischbatterie im Bad kaputt, und am nächsten Tag brachte Grischa eine neue, Importware, und baute sie ein.
Nikita hatte mit seinen dreiundzwanzig Jahren keine Ahnung, was ein Schraubenschlüssel war, wieviel man dem Verkäufer im Sanitärgeschäft
zustecken mußte, damit er eine anständige Mischbatterie unterm Ladentisch hervorholte, und warum eine ausländische besser
war als eine einheimische.
Das alles waren Kleinigkeiten, aber im Unterschied zu Nikita wußte Nika genau, wie wichtig sie waren.
Nikita wurde ein bekannter Dichter. Seine Gedichte erschienen relativ selten in Zeitschriften, weil sie als ideologisch zweifelhaft
galten, fanden aber dafür im Samisdat große Verbreitung. Junge Damen tippten sie auf der Schreibmaschine ab und lernten sie
auswendig. Nikita lächelte die jungen Damen zerstreut an. Dieses Lächeln bedeutete nichts weiter, aber Nika mißfiel es zunehmend.
Eines Tages verwickelte ihn eine bildhübsche Verehrerin seines Talents in ein ausführliches Gespräch über den Akmeismus. Das
war auf einer Silvesterfeier bei Bekannten, und Nikita war so ins Gespräch vertieft, saß so lange mit der jungen Dame in der
Ecke, Kopf an Kopf, über ein Buch gebeugt, daß viele dieses rührende Bild bemerkten und bedeutungsvolle Blicke in Nikas Richtung
warfen. Nika stand auf und ging, ohne ein Wort. Grischa folgte ihr.
Nikita besann sich ziemlich schnell und rannte Nika nach, konnte sie aber nicht einholen, denn Grischa hatte sofort ein Taxi
angehalten.
»Erklär mir, was ist passiert?« fragte Nikita sie zu Hause.
»Nichts«, antwortete Nika.
»Aber warum bist du auf einmal gegangen, klammheimlich, ohne mir was zu sagen?«
»Ich hatte Kopfschmerzen. Ich wollte dich nicht rausreißen.«
»Woraus?«
»Aus dem interessanten Gespräch.«
»Was? Mit wem?«
»Schon gut, spielt keine Rolle. Reden wir nicht mehr darüber.« Nika ärgerte sich über sich: Sie mußte total bescheuert sein,
wenn sie ernsthaft eifersüchtig war auf jede junge Dame, mit der er in der Ecke saß und sich verquatschte.
Nikita arbeitete nach dem Studium als Sonderkorrespondent bei einer großen Jugendzeitschrift und war ständig unterwegs. Grischa
kam fast täglich vorbei, erkundigte sich, was Nika gegessen hatte, füllte ihr den Kühlschrank, wußte immer im voraus, wann
Zucker, Salz und Streichhölzer zu Ende gingen, brachte ihre Stiefel zur Reparatur, besorgte ihr französisches Lieblingsparfüm,
und zwar nicht zum Geburtstag, sondern einfach so, weil der Flakon leer war. Und das alles wortlos, wie selbstverständlich.
Nach außen hin wirkte das Ganze wie ein banales Dreiecksverhältnis, aber Nika und Nikita kamen nie auf die Idee, es von außen
zu betrachten. Nikita war dummerweise überhaupt nicht eifersüchtig und geradezu kindlich vertrauensselig. Er vertraute Nika,
und er vertraute Grischa.
Nika gewöhnte sich mit der Zeit an Grischas
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