Für Nikita
berührten ihren Hals und flüsterten, das Fieber sei gesunken
und sie habe heute kaum gehustet. Nika gewöhnte sich an seine Hände, seine Lippen, an seinen Geruch, an seinen warmen Atem
und hatte auch nichts dagegen, als er eines Tages still und geschäftig zu ihr unter die Decke schlüpfte und flüsterte: »Verzeih
mir, ich kann nicht mehr, ich liebe dich so sehr, ich werde noch verrückt.«
Anschließend verspürte sie Leichtigkeit und Leere, ein Schwindelgefühl wie beim Karussellfahren.
Später stellte sich heraus, daß Nikita im Polarkreis gewesen war, um eine Reportageserie über die Marine zu schreiben. Wieder
zurück, kam er sofort zu ihr, aber sie wollte ihn nicht sehen und erklärte, es sei alles aus.
Dann erfuhr sie, daß eine Frau namens Galina, eine üppige Brünette, eine Kommilitonin von Grischa, ein Kind von Nikita Rakitin
erwartete. Man teilte ihr sogar mit, in welchem Monat diese Galina war, und sie rechnete aus, daß ihr lieber Nikita nach ihrem
schlimmen Streit, als sie mit hohem Fieber und schrecklichem Husten im Bett lag, keine Zeit verloren hatte.
Sie spürte beinah körperlich, wie das Rückgrat ihresSchicksals, ihres ganzen künftigen Lebens zerbrach. Aber um nichts in der Welt hätte sie den ersten Schritt getan; sie konnte
nicht einfach zum Hörer greifen und Nikita anrufen. Selbst wenn er anrief, antwortete sie nur spitz und widerwillig, obwohl
sie sich dabei für ihren eiskalten, falschen Ton verfluchte. Innerlich zitterte sie und hatte weiche Knie, doch von ihren
Lippen kamen nur fremde, böse, sarkastische Worte.
»Wir sollten endlich heiraten«, sagte Grischa immer wieder.
Sie zögerte ihre Antwort hinaus. Endgültig ja sagte sie erst, als feststand, daß sie schwanger war. Das Kind war von Grischa.
Die Frau namens Galina hatte längst ein Mädchen geboren. Nikitas Tochter. Nika begriff, daß wirklich alles zu Ende war.
Mit Grischa führte sie eine gesunde, normale Ehe. Er machte eine hohe Beamtenkarriere, verdiente gut, brachte alles Geld nach
Hause, war ein wunderbarer Vater für den kleinen Mitja. Ein idealer Ehemann. Ein richtiger Schutzwall.
Er sah sie noch immer so zärtlich an wie früher, interessierte sich für alle ihre Probleme, wußte ihre Schuh- und Konfektionsgröße,
wußte, welche Cremes und welches Shampoo sie benutzte, und wenn er in seinen Beamtenangelegenheiten ins Ausland fuhr, brachte
er ihr und Mitja immer eine Menge Dinge mit, die nicht bloß gut und teuer waren, sondern sinnvoll und nützlich. Er hatte eine
unfehlbare Ader für alles, was die öden und komplizierten Dinge des Alltags betraf, und Nika sagte sich oft, wäre sie bei
Nikita geblieben, würde das alles jetzt auf ihren Schultern lasten. Sie hätte kaum ihre Doktorarbeit verteidigen und so viel
arbeiten können.
Nach drei Jahren erfuhr sie zufällig, daß Grischa sie hin und wieder mit seiner Sekretärin betrog, aber das nahm sie ziemlich
gelassen hin. Wenn Nikita ein hübsches Gesicht nur angesehen hatte, war sie innerlich explodiert, doch wenn Grischa manchmal
erst gegen Morgen nach Hause kam und nach fremdem Parfüm roch, machte ihr das nichts aus. Na und? Welcher hohe Beamte vergnügte
sich nicht ab und zu mit seiner Sekretärin?
Ihr Leben verlief ruhig und bequem.
Eines Tages erschien Nikita unangemeldet zum Feierabend auf ihrer Arbeitsstelle. Er teilte ihr mit, er habe sich von seiner
Frau scheiden lassen, sagte, er könne ohne sie, Nika, nicht leben, und sie erwiderte, das sei ihr inzwischen egal.
Grischa war gerade auf einer Dienstreise in Finnland, Mitja mit seiner Kinderfrau auf der Datscha. Ohne es recht zu merken,
landeten sie in Rakitins leerer Wohnung. Ohne Worte und Erklärungen stürzten sie sich aufeinander.
Doch dann sah sie, wie schmutzig die Wohnung war: In der Spüle stapelte sich das Geschirr, in der Küche liefen Kakerlaken
herum. Nikitas Eltern, seine Oma und die Kinderfrau waren auf der Datscha, und Nikita schrieb und nahm nichts um sich herum
wahr.
Die Zeitschrift hatte einen neuen Chefredakteur, mit dem Nikita nicht auskam, also hatte er gekündigt. Außerdem hatte er die
Komsomol- und Produktionsreportagen satt – er arbeitete an einem Roman über den Bürgerkrieg, den vermutlich niemand drucken
würde.
Er las ihr daraus vor, der Roman war großartig, aber während sie zuhörte, dachte sie, daß all diese ausgedachten Menschen
ihm wichtiger waren als sie und daß die Ereignisse in seinem Roman ihn bereits
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