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Für Nikita

Für Nikita

Titel: Für Nikita Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Polina Daschkowa
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gegen das Ernste, Reale, das vor einer halben
     Stunde erst geschehen war, abschirmten.
    Außerdem stellte sie sich die großen erstaunten Augen ihres Sohnes Mitja vor und das ihr unbekannte Mädchen Mascha, über das
     Nikita nicht ein Wort verloren hatte, als existierte es gar nicht.
    »Was macht eigentlich deine Tochter?« fragte sie Nikita in einer Pause zwischen zwei Kapiteln.
    »Sie wächst«, antwortete er. »Sie ist mir sehr ähnlich. Also weiter – zehntes Kapitel …«
    Es ist schon alles richtig, dachte sie, ich habe richtig und vernünftig gehandelt.
    »Vielleicht solltest du hierbleiben?« fragte er mit vom Vorlesen heiserer Stimme. »Und überhaupt, Schluß mit dem Theater.«
    »Stimmt, Schluß damit«, sagte sie hart, »das hat alles keinen Sinn. Man kann nicht zweimal in denselben Fluß steigen.«
    »Hör auf zu lügen. Du liebst ihn nicht. Du bist meine Frau, nicht seine, und ich lasse dich nicht weg.« Nikita preßte sie
     so fest an sich, daß sie sich nicht wehren konnte.
    Aber schließlich ging sie doch. Sie versuchte zu vergessen, wiederholte wie ein Automat immer wieder, daß man nicht zweimal
     in denselben Fluß steigen könne – sagte es zu Nikita, wenn er anrief, und zu sich selbst.
    Etwa ein halbes Jahr später rief er mitten in der Nacht an, furchtbar aufgeregt, und bat sie zu kommen.
    »Mascha wohnt jetzt bei uns. Heute Morgen ist sie auf einen Baum geklettert und runtergefallen, dabei hat sie sich das Bein
     an einem Eisenzaun aufgerissen. Wir waren im Krankenhaus, sie wurde genäht, aber jetzt ist das Bein angeschwollen, und sie
     hat neununddreißig Fieber.«
    Nika kam sofort. Das Kind hatte eine Blutvergiftung. Beim Wort »Krankenhaus« begann das Mädchen erschrocken zu weinen. Nika
     tat alles Nötige und blieb bis zumMorgen bei den Rakitins. Anschließend kam sie eine Woche lang jeden Tag und versorgte die Wunde.
    »Na gut – ein Kind, das ist heilig«, lautete Grischas gönnerhafter Kommentar, sonst sagte er nichts, aber Nika spürte, wie
     gereizt er war.
    Danach sahen sie sich nicht mehr, doch tief in Nikas Innerem saß eine sinnlose, vergebliche Hoffnung. Sie versuchte mit Macht,
     dagegen anzukämpfen, redete sich ein, das sei Irrsinn, verrückt, das müsse sie sich aus dem Kopf schlagen. Das Leben floß
     ruhig und vernünftig dahin. Man konnte nicht zweimal in denselben Fluß steigen. Selbst dann nicht, wenn man am Ufer vor Einsamkeit
     einging wie ein Fisch auf dem Trockenen.

Fünfzehntes Kapitel
    »Fedja schläft«, sagte der Arzt, »und zwar noch mindestens fünf Stunden. Er hatte heute wieder einen Anfall. Wir mußten ein
     starkes Beruhigungsmittel spritzen und ihn an den Tropf hängen. Überhaupt hat sich sein Zustand seit Ihrem letzten Besuch
     verschlechtert.«
    »Heißt das, sein Zustand ist wieder so schlimm, daß er in Todesgefahr schwebt?«
    »Nein, das habe ich nicht gesagt. Er kann noch lange leben. Die Frage ist nur …« Die kalten leuchtendblauen Augen saugten
     sich an seinem Gesicht fest. »Ich will Ihnen das jedesmal sagen, kann mich aber nie dazu entschließen. Ich glaube, Sie sollten
     sich mal von einem Onkologen untersuchen lassen. Ich kann Ihnen einen ausgezeichneten Spezialisten empfehlen.«
    »Danke. Nicht nötig.«
    »Wie Sie meinen. Ach ja, wo waren Sie eigentlich, wennes kein Geheimnis ist? Ich habe bei Ihnen angerufen, aber Sie waren nicht da. Waren Sie verreist?«
    »Wie kommen Sie darauf?«
    »Normalerweise sind Sie abends nach zehn immer erreichbar.«
    »Wahrscheinlich war was mit dem Telefon.«
    »Wahrscheinlich«, stimmte der Doktor ihm zu, obwohl Jegorow ihm ansah, daß er ihm nicht glaubte.
    »Wollten Sie mir mitteilen, daß Fedja einen Anfall hatte?«
    »Nein. Ich sagte doch schon, den Anfall hatte er heute früh. Es geht um etwas anderes. Fedja sagt dauernd irgendwelche unverständlichen
     Worte.«
    »Moment mal« – Jegorow lief rasch von einer Ecke in die andere und knöpfte zerstreut den Kittel zu, den er sich über die Schulter
     geworfen hatte –, »das will ich genauer wissen.«
    »Na ja, eigentlich nichts Besonderes.« Der Arzt zuckte die Achseln. »Er hat eben ein paar Worte gemurmelt. Ohne jeden Sinn.«
    »Was?« Jegorow knöpfte den Kittel bis zum Hals zu und sofort wieder auf, riß dabei einen Knopf ab und gab ihn dem Arzt, der
     ihn wortlos in die Tasche steckte. »Nichts Besonderes?« Jegorow hob die Stimme. »Er hat schließlich vier Jahre lang geschwiegen.
     Nur omm gebrummt und sonst nichts. Sie haben mir

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