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Für Nikita

Für Nikita

Titel: Für Nikita Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Polina Daschkowa
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freundschaftliche Aufmerksamkeit.
    »Warum heiratest du nicht, Grischa?« fragte sie ihn einmal.
    »Ich warte auf dich«, antwortete er.
    Sie lachte, überzeugt, daß er scherzte.
    Doch immer öfter spürte sie, wenn sie mit ihm allein war, eine gewisse Spannung. Immer länger und vielsagenderwurden die Gesprächspausen, immer hartnäckiger suchte er ihren Blick, und einmal griff er nach ihrer Hand und küßte hastig
     und gierig ihre Finger, mit einem Gesicht, das sie lieber nicht gesehen hätte. Noch nie, niemals hatte Nikita so ein Gesicht
     gemacht.
    Um Rakitin scharten sich junge Damen, Liebhaberinnen der Poesie. Obendrein war er attraktiv, charmant und ungeheuer geistreich.
     Sein Erfolg wuchs, und schon wurden die Nika so schrecklich vertrauten Worte geraunt: Genie und Künstlertragödie.
    »Hat Rakitin immer noch seine Doktorsche?« hörte sie bei einem Dichterabend zufällig jemanden fragen. »Weißt du, das ist die
     ewige Tragödie des Künstlers, alle Dichter hatten komischerweise immer banale, stumpfsinnige Frauen an ihrer Seite.«
    »Ach, hör bloß auf.« Die zweite junge Dame schüttelte den Kopf. »Was versteht eine Notärztin schon von Poesie?«
    Die jungen Damen hatten es nicht für nötig gehalten, sich umzusehen.
    Grischa faßte zärtlich nach Nikas eiskalter Hand. Er sagte kein Wort, sah sie nur unverwandt zärtlich an und streichelte behutsam
     ihre Hand.
    Nach dem Studium arbeitete Nika in einem Notarztteam und war ständig mit Schmutz, Schmerz und Brutalität konfrontiert. Manchmal
     hätte sie sich nach einem Vierundzwanzigstundendienst gern an eine warme, zuverlässige Schulter gelehnt. Aber Nikita war entweder
     nicht da oder saß in seinem Zimmer und schrieb – Grischas warme Schulter dagegen war immer verfügbar.
    Eines Tages kam es zum erstenmal zu einem schlimmen Streit zwischen ihr und Nikita. Noch heute, Jahre später, mochte Nika
     nicht daran denken, wie und warum sie sich getrennt hatten. Sie hatten beide unrecht, und der formaleAnlaß erwies sich als so erbärmlich, daß es unmöglich war, alles in Ruhe zu besprechen und zu klären.
    Nika ging ohne ein Wort. Nikita hielt es nicht für nötig, sich zu rechtfertigen. Selbstverständlich war Grischa sofort zur
     Stelle.
    »Haben dir die Schaffenskrisen deiner Eltern nicht gereicht? Du hattest keine richtige Kindheit, und jetzt läßt du dir auch
     deine Jugend verderben. Noch ein Genie verkraftest du nicht«, sagte der vernünftige Grischa und wischte ihr die Tränen ab.
     »Du wirst immer nur die kostenlose Beilage zu seinem Talent und seinem Ruhm sein. Du wirst Teil seiner Küche sein, im direkten
     und im übertragenen Sinn. Du wirst ihn bekochen, schwere Einkaufstaschen schleppen und ihm die Wäsche waschen. Und er wird
     deine Gefühle, deine Gedanken und deine Gewohnheiten beobachten und zu Papier bringen. Ihm ist ganz egal, wer an seiner Seite
     ist. Für ihn sind alle Menschen entweder potentielle literarische Gestalten oder Zuhörer. Du wirst schuld sein an seinen Schaffenskrisen,
     und wenn auf die Krise eine Zeit der Inspiration folgt, wirst du seiner Arbeit im Wege stehen. Dann wird er ein neues Objekt
     für seine künstlerischen Beobachtungen brauchen.«
    So offen sprach Grischa zum erstenmal mit ihr. Nika hörte ihm zu und konnte es nicht glauben, beschimpfte sich, daß sie ihm
     zuhörte, und ärgerte sich über Nikita. Das schlimme war, daß sie sich alle diese Dinge auch selbst hätte sagen können, es
     aber nie gewagt hatte. Grischa formulierte klipp und klar ihre unterbewußten Ängste und angestauten Kränkungen.
    Nikita rief nicht an und ließ sich nicht blicken. Inzwischen wurde sie schwer krank. Grischa war die ganze Zeit bei ihr, flößte
     ihr löffelweise Grapefruitsaft mit Honig ein und putzte die Wohnung wie eine geübte Hausfrau.
    Er blieb über Nacht, schlief bescheiden auf dem alten, durchgelegenen Sofa im Nachbarzimmer. Manchmal wachte Nika mitten in
     der Nacht auf, und er war da, setzte sich auf den Bettrand, legte ihr die Hand auf die Stirn, strich ihre Decke glatt, fragte,
     ob sie etwas trinken wolle, wie sie sich fühle und ob sie etwas dagegen habe, wenn er eine Weile bei ihr sitzen bliebe, denn
     er könne nicht schlafen.
    Sie hatte nichts dagegen. Sie war ihm sehr dankbar. Ohne es zu merken, gewöhnte sie sich – noch nicht an ihn, an Grischa Russow
     persönlich, aber an seine stille, warme Gegenwart in ihrem Leben.
    Grischas Hand glitt von ihrer Stirn auf die Wange, seine Lippen

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