Fuer Wunder ist es nie zu spaet
es ein Herz geben, aber das saß
ziemlich tief drinnen. Und auf der Liste der Dinge und Personen, die Papa Kjell
mit seiner Liebe bedenken wollte, stand Karin ganz unten. Ganz oben stand
Alkohol, Alkohol und noch mal Alkohol, dann kamen die Saufkumpane und die
Zigaretten, dann eventuelle Freundinnen, und irgendwann ganz am Schluss kam
Karin. Aber bis zum unteren Ende der Liste gelangte Papa nie, denn meist kam
das ganze Unternehmen schon nach dem ersten oder dem zweiten Punkt zum
Erliegen.
Karin hatte es verdammt eilig, von zu Hause auszuziehen, das Leben
zu wechseln und nie wieder heimzukommen. Sie wollte niemals wieder den Vater,
Duvköping oder auch einen einzigen Menschen aus dieser elenden Stadt sehen. Sie
brauchte keine Zeugen ihrer traurigen Kindheit. Weg, weg, weg. Jemand Neues
werden. Sich verwandeln. Ein Aschenputtel. Eine, auf die alle gespuckt haben
und die jetzt endlich von dem magischen Zauberstab berührt wird und plötzlich
in gläsernen Schuhen tanzt. Mit einem Prinzen, einem schönen Prinzen.
»Das Schloss liegt wie eine Fata Morgana im Vänersee. Wie eine rosa
Torte, die aus dem Wasser aufgestiegen ist, um sich einen Überblick über ihre
Besitztümer zu verschaffen. Hjortholmen. Seine Seele hier baumeln lassen zu
dürfen ist nur wenigen vergönnt.«
Während Karin den Text noch einmal durchliest, hört sie, wie es aus
ihrer zusammengerollten Jeans klingelt. Verdammte Scheiße. Im Moment fühlt sie
rein gar nichts. Jetzt gilt es nur, diesen Artikel zu schreiben, so schnell wie
möglich schwimmen zu lernen und dann zurück nach Stockholm zu fahren.
Jens packt seine Sachen zusammen. Er faltet die Hemden,
die Jeans, die Unterhosen und legt sie sorgfältig aufeinander in die kleine
Reisetasche. Auf keinen Fall, auf gar keinen Fall wird er hierbleiben und sich
von Karin wie ein Stück Dreck behandeln lassen. Sie ist ganz genauso wie all
die anderen, die zu vergessen er sich vorgenommen hat. Diese Leute sollen nicht
mehr über ihn bestimmen. Und dann taucht sie auf. Schick
und elegant und . . . geht einfach auf ihn los, als ob er gar nichts wäre.
Nichts. Er hat sich selbst geschworen, dass er sich nur noch, und zwar
ausschließlich, mit netten Menschen abgeben wird. Mit Menschen, die Rücksicht
zeigen, die freundlich sind . . . Er sehnt sich nach Hause zu seinem Hof, zu
seinen Perennen, seinen Arbeitskollegen, seiner Mutter, seinem Vater, seinem
Hund. Nach seinem Leben.
Jens drückt ein letztes Mal auf die Kleidung, die guten Schuhe und
den Kulturbeutel, dann klappt er den Deckel zu und verschließt die Tasche. Die
Tränen laufen ihm über die Wangen. Schnell wischt er sie mit seiner rauen Hand
ab. Nicht weinen, das ist sie nicht wert. Nicht verletzt sein. Sie ist es, die
falsch ist, er ist richtig.
Er macht das Bett, sucht das Zimmer noch nach Müll ab, sorgt dafür,
dass die alten Kleider, die er gestern hervorgeholt hat, wieder ordentlich im
Schrank hängen, und dann geht er hinaus. Leise schleicht er durchs Haus, die
breite Treppe mit den roten Samtstufen hinunter. Beim kleinen Frühstückszimmer
horcht Jens angestrengt. Alex und Maja reden und lachen draußen am Pool,
Josefin klappert in der Küche, und aus Pelles Atelier ist eine seltsame Musik
zu erahnen.
Jens schleicht auf Zehenspitzen durchs Zimmer, öffnet die schön
verzierte Glastür und tritt hinaus. Jetzt kann man Pelles Musik deutlicher
hören. Jens landet genau vor seinem Atelier, nervös zieht er die Hosen noch ein
wenig höher. Die riesigen Fenster zeigen nach Norden, und es wird fast unmöglich
sein, unbemerkt an ihnen vorbeizukommen. Vorsichtig blickt er in den Saal
hinein, doch der Vorhang ist zugezogen, und er kann nichts sehen. Und Pelle
kann nicht hinausschauen.
Jens versucht, leise über den hartnäckig knirschenden Kies zu gehen,
aus dem Fenster dröhnt Musik. Es ist diese dänische Rockband Gasolin’, Pelles
alte Freunde. Kim Larsen brüllt, spuckt und zischt, und drinnen schlägt und hämmert
es. In der Mitte der Fensterpartie gibt es eine kleine Lücke. Eine winzige
Lücke, aber groß genug, um hineinzublicken.
Jens schaut und ist fassungslos. Was macht Pelle da bloß? Und was
hat er sich nur gedacht . . . Oder hat er am Ende gar nichts gedacht?
Jens versteht nicht viel von Kunst, aber eins weiß er, und zwar,
dass das hier niemals funktionieren wird. Auf wackligen Sandalenfüßen geht er
weiter zum See hinunter.
»Ich habe mir gedacht, dass wir heute einen afrikanischen
Tanz probieren
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