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Fuer Wunder ist es nie zu spaet

Fuer Wunder ist es nie zu spaet

Titel: Fuer Wunder ist es nie zu spaet Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emma Hamberg
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Acne-Jeans
eingerollt und in die Fensternische gelegt. Heute Vormittag haben sie schon ein
paarmal angerufen, die vom Krankenhaus. Karin kann das Klingeln nicht ertragen,
sie kann es einfach nicht ertragen.
    Jetzt ist sie geduscht und porentief rein. Sicher viermal hat sie
sich die Zähne geputzt, hat mit Unmengen von Mundwasser gegurgelt und das
Zimmer gelüftet. An Jens hat sie gedacht und an Papa.
    Jens. »Nichts«. Genauso ein verdammtes Mobbingopfer wie sie selbst.
Sie beide waren die hässlichsten, ekligsten und unbeliebtesten Kinder der
Schule in Duvköping. Die Jungs haben mit Jens gemacht, was sie wollten, die Mädchen
hatten freie Hand mit Karin. Na klar, spring nur drauf. Nichts und Pipi-Karin,
die wehren sich sowieso nie. Die machen hinterher noch einen Knicks und einen
Diener und putzen sich die Nase. Dann heulen sie heimlich und wischen sich auf
dem Schulklo hinter verschlossener Tür das Blut aus dem Gesicht.
    Jens war klein und mager wie eine Bohnenstange. Hätte er nicht diese
Haare gehabt, dann hätte man ihn von der Seite kaum sehen können. Und dann die
hässlichen Kleider, die seine Mutter ihm genäht hat. Seine nette, liebe Mutter,
die ihrem Sohn Kleider nähte, Jeans, Hemden und sogar eine Jeansjacke. Die
Jeansklamotten waren steif wie neue Segel.
    Und Karin, die nicht einmal eine Mutter hatte. Na ja, eine Mutter
hatte sie schon, aber eine, die eigentlich in die Klapse gehört hätte. Eine
Mutter, die sich die Handgelenke aufritzt oder den ganzen Tag schläft und ihr
Kind vergisst. Eine Mutter, die am Ende ins Irrenhaus gebracht wurde, weil man
sie nicht frei herumlaufen lassen konnte. Und das Kind und sein Vater mussten
allein klarkommen, was ihnen überhaupt nicht gelang. Papa hat nichts
hingekriegt, und Karin hat alles gemacht. Die tüchtige Karin. Die kleine,
tüchtige Karin, die sich selbst ins Bett brachte, sich selbst weckte, die ihre
Kleider in altem Spülwasser wusch, wodurch sie noch schlimmer stanken als
vorher, die sich andauernd in die Hose machte, die so allein war. So unendlich
allein. In der Schule. Und auch zu Hause. Obwohl, nein, Papa war immer zu Hause,
und seine Kumpel auch, und jede Menge Weiber gab es auch. Zu Hause war sie also
tatsächlich niemals allein. Niemals allein, aber auch niemals in echter
Gemeinschaft mit jemandem.
    Sie hatte Jens. Auf dem Heimweg von der Schule versteckten sie sich
manchmal unter der Brücke, damit niemand sie fand. Da lagen sie dicht
beieinander, Jens in seinen steifen, selbstgenähten Jeansklamotten, Karin in
ihren schmutzigen Spülwasserlumpen. Manchmal teilten sie sich eine Portion
Weintrauben. Jens zog alles, wonach ihm war, in seinem Gewächshaus. Jeden Tag
nahm er kleine Plastikdosen voller Beeren und Obst mit in die Schule. Manchmal
durfte er sie selbst essen, manchmal klaute jemand anders sie ihm, aber oft
genug wurden sie einfach in den Aschestaub des Fußballplatzes geworfen und
kaputt getrampelt.
    Es gab ihr Sicherheit, mit Jens unter der Brücke Weintrauben zu
essen. Niemand kam vorbei, niemand sah sie, und die Trauben waren zuckersüß.
Doch während sie mit Jens dasaß und seine Trauben aß, hasste sie ihn bisweilen.
Dann hätte sie ihn am liebsten in die Fresse geschlagen, dass es nur so
knallte. Peng.
    Jens hatte sein Gewächshaus, seine Mutter und seinen Vater. Er hatte
ein warmes Haus, Schweine, Kühe und einen großen Backofen im Keller, in dem
jede Woche Brot gebacken wurde. Er bekam einen sauberen Schlafanzug, richtige
Umarmungen, ehe er einschlief, und das Fenster wurde nachts einen Spalt
aufgelassen, damit die Luft gut war.
    Karin hatte einen Vater, der den Kühlschrank mit Bier anstatt mit
Essen füllte, der seine Freunde zu Zigaretten einlud, anstatt Karin ein warmes
Abendessen zu bieten. Es gab eine Wohnung und sogar ein eigenes Zimmer, aber
schmutzige Bettwäsche und keinen Gutenachtkuss. Obwohl, doch, manchmal wurde
sie wie verrückt geküsst, und zwar von allen, die da waren und feierten. Sie
stanken nach Schweiß, Alkohol und Zigaretten, und die Frauen hatten immer viel
zu viel Parfüm aufgelegt. Karin schloss meist die Tür hinter sich ab und las.
Sie las sich weg, und sie las sich ruhig. Vor der Pubertät funktionierte das Lesen
gut als Flucht.
    Manchmal schaffte sie es zur Bibliothek und lieh sich Bücher aus,
die sie immer zurückzubringen vergaß. Dann kamen Bescheide über Mahngebühren,
und Papa wurde wütend, und die kleine Karin kriegte Angst. Manchmal war Papa
nett. In seiner aufgedunsenen Brust mochte

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