Fuer Wunder ist es nie zu spaet
anders in der Gruppe, mit dem es nicht geht?«
Schweigen.
»Ist es Alex?«
»Nein.«
»Ist es Pelle?«
»Nein.«
»Karin?«
Schweigen.
Mist. Jetzt geht es natürlich los, jetzt kommen sie! Jens blinzelt.
Er will nicht. Er hasst das. Aber die Tränen kommen, drücken sich aus den
zusammengekniffenen Augen hinaus und laufen warm die Wangen hinunter. Diese verdammten
Tränen. Na toll. Und jetzt kommt auch noch der Rotz, läuft zwischen Nase und
Mund hinunter. Jens macht die Augen nicht wieder auf. Er hält sie geschlossen
und hofft, dass er vielleicht wenigstens diesmal einfach vom Erdboden
verschluckt wird. Leinen los, vom Steg hochgeschwebt und weg. Die unsichtbaren
Flügel ausbreiten und nach Hause fliegen. Genauso war es, als er klein war. Immer
fing er an zu weinen, zu jeder passenden und unpassenden Gelegenheit. Was den
anderen nur noch mehr Anlass gab, ihn zu hänseln . . .
Da spürt er ihren Körper. Sie ist aufgestanden und hat ihre
kräftigen Arme um seinen Rücken gelegt. Die Hände drücken seine Schultern ganz
fest. Ihre Wange ist an seiner. Sie flüstert etwas. Er hört es nicht. Kneift
nur das Gesicht zusammen. Auch die Ohren. Versucht zu schweben. Es geht nicht.
Dann öffnet er den Mund, um etwas zu sagen, doch es kommen keine Worte, sondern
nur ein Schluchzen. Majas Umarmung wird noch fester. Sie wird ihn nie
loslassen. Jens lässt seine Tasche fallen, sie donnert auf den Steg und springt
auf, die sorgsam gefalteten Hosen, Hemden und Unterhosen fallen heraus. Aber
sie lässt nicht los. Also steht Jens mit offenem Mund da, Tränen und Rotz
laufen, und er wird einfach umarmt.
Alex liegt mit geschlossenen Augen auf der Bank, und ihm fällt auf,
dass er einen ganzen Tag lang nicht ein einziges Mal an sein Training gedacht
hat. Und das ist sehr seltsam.
Karin steht am offenen Fenster und starrt zum Steg
hinunter. Sie kann sehen, wie Maja Jens umarmt. Sie sieht seine offene Tasche,
die auf dem Steg liegt, und alle Kleider, die herausgefallen sind. Etwas
entfernt Alex, der sich auf der Bank ausruht. Sie sieht alles. Exakt alles.
Jens wird allen erzählt haben, wie Karin sich benommen hat. Dass sie
jemanden getreten hat, der schon am Boden lag. Dass sie alte Wunden aufgerissen
und darin herumgewühlt hat. Dass ihr alles entglitten ist. Dass sie . . . Nein.
Karin fasst sich an den Hals, da ist wieder der Angststau. Die Luft
kann weder rein noch raus. Verwirrt läuft sie im Zimmer herum, sucht ihre
Kleider zusammen. Dabei massiert ihre Hand die ganze Zeit den Hals.
Hier kann sie nicht bleiben. Wie könnte sie jemals wieder in dieses
verdammte Schwimmbecken steigen und zu schwimmen versuchen, wenn jeder auf
dieser Insel sie hasst? Wenn alle es wissen?
Und wie soll sie überhaupt jemals schwimmen lernen, sie traut sich
ja nicht einmal zu atmen! Das Einzige, was sie kann, ist, mit geschlossenen
Augen herumzulaufen und zu schreien.
Wütend und noch ziemlich verkatert saust Karin herum. Klappt ihre
schönen Markenledertaschen auf, wirft die schönen und coolen Klamotten hinein,
ihre perfekte Fassade, immer rein damit. Und dann zudrücken. Das Handy lässt
sie in der Fensternische liegen, das kann sie mal gernhaben. So viel Zeit, so
viel Geld, so verdammt viel Aufwand für all die verdammten schicken Sachen.
Rein mit dem Zeug.
Karin bringt es nicht fertig, sich im Spiegel anzuschauen, sich zu
schminken, sie kann nicht nachprüfen, ob ihr auf den Beinen Haare oder auf der
Stirn Hörner gewachsen sind. Sie packt ihre exklusiven Edeltaschen und poltert
aus dem Zimmer.
23
J osefin steht in der Küche und schneidet
für das Mittagessen Champignons in Scheibchen. Den Knoblauch hat sie schon ganz
dünn gehobelt, um ihn später zusammen mit den Pilzen anzubraten. Das werden
richtig leckere Sandwiches. Sie pfeift und schneidet, pfeift und schneidet.
Das Bier steht im Kühlschrank. Richtig, sie wollte doch nach Karin
und Jens sehen, denen es nicht so gut geht. Vielleicht sollte sie ihnen etwas
kühlen Joghurt mitbringen. Ja, das wäre gut. Josefin wischt sich die Hände an
der schwarzen Schürze ab, ein Fundstück in einem Schrank voller Arbeitskleidung
für die vielen Mädchen, Haushälterinnen und Butler des Schlosses. Massenhaft
Hüte, halbe und ganze Schürzen, Anzüge, Schlipse, Fliegen und lange Reihen von
weißen Hemden, Röcken und Kleidern. Da musste sie sich nur was Passendes
raussuchen.
Zur Feier des Tages trägt Josefin eine rote Bluse mit Falten an den
Oberarmen und im Rücken,
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