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Fürchte dich nicht!

Fürchte dich nicht!

Titel: Fürchte dich nicht! Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Grafit
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Menschen nicht willkürlich inhaftieren. Ich bin jedoch sicher, dass von Eichkorns Organisation keine Gefahr mehr ausgeht.« Schöning berührte ihn am Arm. »Und was ist mit dir?«

    »Was meinst du?«
    »Kommst du in den Polizeidienst zurück? Wir brauchen dich, Martin.«
    Er spürte das Bedürfnis, sie zu umarmen. Es war albern, gänzlich unpassend und doch konnte er sich nicht dagegen wehren.
    »Martin?«, hörte er ihre erschrockene Stimme an seinem Ohr. »Alles in Ordnung?«
    »Nein.«
    Sanft befreite sich Schöning aus seiner Umklammerung. »Überleg’s dir! Ich bin die nächsten Tage auf Norderney. Bis zum Ende des Gipfels.«

51
Spiekeroog, Süderloog

    Wolkenfäden umspannten den Himmel wie ein riesiges weißes Spinnennetz, in dessen Mitte eine blasse Sonne hockte. Ein kühler Wind strich über die Holzterrasse und spielte mit dem zusammengefalteten Sonnenschirm. Geis hatte die Wolldecke bis zur Brust hochgezogen, er schien zu schlafen. Die Falten in seinem Gesicht, besonders die beiden Marionettenfalten, die sich von den Mundwinkeln bis zum Kinnende gruben, waren tiefer geworden. Was auch daran lag, dass er in den letzten Wochen etliche Kilo abgenommen hatte.
    Viola sah in seinem Gesicht noch etwas anderes. Sie sah den alten Geis durch die Gesichtshaut schimmern, den erfahrenen, kontrollierten Polizisten, dessen männliche Abgeklärtheit und stoische Ruhe sie einst fasziniert hatten.
    Geis hatte beschlossen, sich Antikörper spritzen zu lassen, und die Therapie entfaltete ihre Wirkung. Geis verwandelte sich zurück. Bald würden die Anfälle kindlichen Spieltriebs vorbei sein, in denen er sie über den Sandstrand jagte. Vorbei auch das Versinken unter einer Glocke todtraurigen Unglücklichseins, wenn er sich an das erinnerte, was in seinem Leben schiefgelaufen war. Eine ganze Menge, wie Viola inzwischen wusste. Geis hatte geredet und geredet. Bei ihren langen Spaziergängen quer über die Insel und am Strand entlang, am Abend im Restaurant und vor dem Kamin ihres Ferienhauses.
    Viola hatte ihm zugehört, lediglich ab und zu eine Frage gestellt. Sie konnte damit umgehen, dass er ihr anvertraute, was er noch nie einem anderen Menschen gesagt, vermutlich nicht einmal sich selbst eingestanden hatte. Schwerer erträglich war allerdings, dass Geis auch ihre gemeinsame Beziehung nicht ausklammerte. Es rührte sie, dass er sich für sein mangelndes Vertrauen schämte, seine manchmal überbordende Dankbarkeit für ihre Hilfe war ihr dagegen schon peinlich. Doch vollends in den Zwiespalt trieb sie die Tatsache, dass er sie neu begehrte. Denn sie wusste, der Mann, der sie jetzt küssen und mit ihr schlafen wollte, würde verschwinden und die Entzauberung – ihre Entzauberung – einsetzen. Schneller als bei einem gecasteten Superstar im Fernsehen. Was würde Geis von seinen eigenen Gefühlen halten, wenn ihn die Antikörper in den alten Zustand zurückversetzten? Würde er wieder auf Distanz gehen, bereuen, dass er sich ihr geöffnet hatte?
    Nein, Viola hatte nicht vor, die Entfremdung ein zweites Mal hautnah zu erleben. Deshalb hatte sie ihn sanft, aber bestimmt zurückgewiesen. Keine Küsse, kein Sex. Nicht, bis sich beide Geis für sie entschieden.
    Vor der Terrasse und einem schmalen Stück Rasen verlief der Pfad, der in den Dorfkern führte. Auf Spiekeroog gab es keine Autos, keine Pferdekutschen, nicht einmal Fahrräder konnten die Touristen ausleihen. Wer sich hier fortbewegen wollte, musste seine Füße benutzen. Keine Insel für eilige Menschen.
    Wie den Mann, der sich zwischen Familien durchschlängelte, mit Handkarren kollidierte und über Kinderspielzeug stolperte. Viola hatte ihn schon von Weitem erkannt, sein rot leuchtender Kopf erinnerte sie an ihre letzte Begegnung. Und die nächste würde wahrscheinlich nicht erfreulicher verlaufen.
    Geis schlug die Augen auf, als sie ihn an der Schulter rüttelte. »Was ist?«
    »Heiner ist auf dem Weg zu uns.«
    »Wer?«
    »Heiner Stegebach, mein Ex.«
    Geis kam hoch und rieb sich die Augen.
    Heiner hatte sie inzwischen entdeckt, er winkte. Viola fand, dass er gehetzt wirkte. Mitleid erregte der Gedanke nicht.
    »Ich habe euch gesucht.« Heiner öffnete die hölzerne Gartentür und nahm den Weg über die Steinplatten.
    »Und dummerweise hast du uns gefunden.« Viola machte keine Anstalten, ihn zu begrüßen.
    Das schien ihn nicht zu beeindrucken. »Ich muss mit euch reden.«
    »Worüber denn?«
    »Über …« Er blickte sich um. »Können wir nicht ins Haus

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