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Fürchte dich nicht!

Fürchte dich nicht!

Titel: Fürchte dich nicht! Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Grafit
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Konstitution habe ihm das Leben gerettet. Zu seinem eigenen Schutz werde man ihm ein Beruhigungsmittel geben, er wisse ja, dass die neue FSME zu unvorhersehbaren psychischen Veränderungen führe.
    Geis begriff nicht, was sie meinten. Er war doch kein anderer Mensch geworden. Er fühlte sich nur manchmal traurig und manchmal glücklich. Seit langer Zeit hatte er diese Gefühle nicht mehr so stark empfunden, vielleicht seit seiner Kindheit nicht mehr. Trotzdem waren sie ihm nicht fremd, sie gehörten zu ihm, obwohl sie sich im Laufe seines Lebens nach und nach abgeschwächt hatten. Wenn er traurig war, musste er weinen, und wenn er glücklich war, summte oder lachte er. Vorausgesetzt, er war nicht zu müde. Was selten genug vorkam.
    In seinen wachen Phasen unterhielt er sich mit Viola, die ihm erzählte, dass man Bischoff verhaftet habe und es inzwischen gelungen sei, viele Anhänger Eichkorns aufzuspüren. An einem anderen Tag standen Michaela und Annika an seinem Bett. Er wollte Annika in den Arm nehmen und küssen, doch sie wich mit angeekeltem Gesichtsausdruck zurück. Als ihm die Tränen aus den Augen schossen, rannte sie aus dem Zimmer. Und Michaela warf ihm vor, er habe das arme Kind überfordert.
    »Aber wieso?«, fragte Geis. »Was ist verkehrt daran, wenn ein Vater seine Tochter liebt?«
    »Du bist nicht mehr du selbst«, sagte Michaela. »Annika weiß, dass du dieses … diese Krankheit hast. Da ist es doch völlig normal, dass sie ein bisschen auf Distanz geht. Und anstatt darauf Rücksicht zu nehmen, fängst du an zu flennen.«
    »Ich bin nicht krank«, sagte Geis. »Nicht so, wie du denkst.«
    »Herrgott, Martin, merkst du nicht, was mit dir los ist? Du hast dich überhaupt nicht mehr unter Kontrolle.«

     
    »Stimmt das?«, fragte Geis Viola später. »Habe ich mich verändert?«
    »Ja.«
    »Und wie?«
    »Du lässt deine Gefühle zu. Oder, um es in der Logik des Virus zu formulieren: Du hast keine Angst mehr, deine Gefühle zu zeigen.«
    »Du meinst, ich habe in der Vergangenheit meine Gefühle unterdrückt?«
    Viola lachte. »Da warst du nicht allein, Martin Geis. Die meisten Männer tun das. Und viele Frauen auch. Ich hätte meine Angst gerne unterdrückt, aber es ist mir nicht gelungen. In manchen Berufen ist es sogar notwendig, seine Gefühle abzuschalten. Nimm mal das medizinische Personal hier im Krankenhaus. Wenn die mit jedem sterbenden Patienten mitfühlen würden, könnten die ihren Job nicht mehr vernünftig erledigen. Und in deinem Beruf ist das vermutlich ähnlich. Aber irgendwann kannst du nicht mehr zwischen beruflich und privat unterscheiden, dann stumpfen deine Gefühle ab. Man nennt das auch berufliche Deformation.«
    Geis dachte darüber nach. »Heißt das, dass ich meinen Beruf nicht mehr ausüben kann?«
    »Willst du denn wieder als Polizist arbeiten?«
    »Ich weiß nicht. Aber von irgendetwas muss ich ja leben.«
    Viola wich seinem Blick aus. Er spürte, dass sie ihm etwas verheimlichte. »Was ist?«
    »Es gibt eine Möglichkeit, die psychische Veränderung rückgängig zu machen«, sagte sie zögernd. »Erste Tests haben überraschend positive Ergebnisse gebracht.«
    »Und wie?«
    »Mit Antikörpern. Jeden zweiten Tag eine Spritze, ein bis zwei Wochen lang. Man hat damit experimentiert, weil die Methode in der Vergangenheit Bornavirus-Patienten geholfen hat, die aufgrund der Infektion depressiv oder schizophren geworden waren. Antikörper bekämpfen gezielt die angsthemmenden Proteine.«
    »Und wo ist der Haken?«, fragte Geis.
    »Es gibt keinen.«
    »Lässt du dir Spritzen geben?«
    »Nein.«
    »Warum nicht?«
    »Das habe ich doch schon in Münster gesagt, Martin. Ich will mich nicht in die ängstliche Viola zurückverwandeln. Ich möchte so bleiben, wie ich bin.«

     
    Am nächsten Tag machte Geis einen Ausflug vor die Tür des Krankenhauses. Es war warm, ein Spätsommermorgen, in den sich die Ahnung des nahenden Herbstes mischte.
    Neidisch beobachtet Geis eine Gruppe von Rauchern in Bademänteln, die einen mit Kippen überfüllten Aschenbecher umlagerte. Niemand fragte einen Raucher, warum er einfach bloß herumstand. Eine Zigarette gab jedem Nichtstun einen tieferen Sinn. Dabei reizte es Geis weniger, teerhaltigen Rauch einzuatmen, er sehnte sich nach dem Gefühl, mit einer Zigarette im Mund in die Ferne zu blicken. Von dort, genau genommen vom Parkplatz, näherte sich eine groß gewachsene Frau mit rötlich schimmernden Locken, deren Stöckelschuhe unrhythmisch auf dem

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