Fürchte dich nicht!
angefangen mit dem Streit? Wer hat zuerst geschlagen?«
»Ich.« Sie lachte dreckig. »Ich hätte ihm seinen verdammten Schädel zertrümmern sollen.«
Die Frisia pflügte durch das ruhige Wattenmeer. Das Schiff war nur mäßig besetzt, Geis hatte einen Fenstertisch und eine Bank für sich allein. Die Westspitze von Norderney mit ihren hohen weißen Häusern zeichnete sich deutlich vor dem grauen Wolkenhintergrund ab, in weniger als einer halben Stunde würde er die Insel betreten. Und morgen oder übermorgen würde auch Eiko Berends wieder da sein. Unbehelligt, als wäre nichts geschehen. Manchmal war das Rechtssystem denkbar ungerecht. Es verlangte Zeugen und Beweise für Dinge, die offensichtlich waren. Und bestrafte die Opfer, die sich wehrten, wenn der Leidensdruck unerträglich wurde. Berends würde ohne jede Strafe davonkommen und Hannah, selbst wenn man sie nicht vor Gericht stellte, den Kürzeren ziehen. Entweder musste sie vor dem Kotzbrocken zu Kreuze kriechen oder sich mit dem Kind ohne seine Hilfe durchschlagen. Geis kannte genug Geschichten von Männern, die versuchten, sich um die Unterhaltszahlungen zu drücken.
Hoffentlich würde ihm Berends in den nächsten Tagen nicht über den Weg laufen. Geis konnte nicht dafür garantieren, dass er die Nerven behielt, falls ihn der Hotelier frech angrinste.
Das Handy fiepte. Geis meldete sich.
»Dr. Wagner hier. Ich wollte es Ihnen zuerst sagen. Wir haben alles versucht, aber es ist uns leider nicht gelungen …«
»Hannah Berends ist tot?«
»Ja. Leider.« Die Verbindung wurde schlechter. »… Blutgerinnsel … überlagernde Symptome … Notoperation …«
»Ich verstehe Sie kaum!«, brüllte Geis.
»Frau Berends hatte ein Blutgerinnsel im Gehirn. Die Symptomatik ähnelt der einer FSME. Deshalb haben wir das nicht sofort festgestellt.«
»Das heißt, sie hatte gar keine FSME?«
»Doch. Ich meine: sehr wahrscheinlich. Was letztendlich zu ihrem Tode geführt hat, das Blutgerinnsel oder die FSME, muss …«
»Wodurch wurde das Blutgerinnsel denn verursacht?«
»Nun …« Wagner zögerte. »Denkbar wäre ein Schlag oder der Aufprall auf einen harten Gegenstand.«
»Ich möchte, dass Hannah Berends’ Leiche nach Oldenburg ins rechtsmedizinische Institut gebracht wird«, sagte Geis barsch. »Falls irgendetwas von dem, was ihr Mann mit ihr angestellt hat, ihr Leben beendet hat, will ich das wissen. Haben Sie verstanden?«
»Ja«, sagte Wagner.
6
Berlin, Bundesinstitut für Infektionskrankheiten
»Hast du einen Moment Zeit?« Daniel Felsenburg grinste.
Diesmal hatte er zwar angeklopft, ihre Antwort aber nicht abgewartet. Viola war unschlüssig, ob sie das Klopfen als ersten Lernerfolg werten sollte oder das Grinsen als Provokation.
»Warum?« Sie beschränkte sich darauf, ihre Missbilligung durch eine betont gelangweilte Gegenfrage auszudrücken.
»Es geht um ein Virus. Es befand sich im Gehirn einer Verstorbenen. Ein Speziallabor hat eine Zellkultur angelegt, um FSME nachzuweisen.«
»Was ist daran Besonderes?« Viola stand auf und folgte Daniel in den Flur.
»Das Speziallabor meint, wir sollten uns das Ding mal ansehen. Für ein FSME-Virus verhalte es sich etwas merkwürdig.«
Violas Büro und die Forschungslabore befanden sich in dem seelenlosen Anbau, den man in den Siebzigerjahren des zwanzigsten Jahrhunderts hinter das klassizistische Gebäude gestellt hatte, das die imposante Straßenfassade des Instituts bildete. Um zur Forschungsabteilung zu kommen, die zwei Etagen unterhalb des Bürotraktes lag, nahmen die beiden Wissenschaftler den Aufzug.
»Wer hat den Nachweis veranlasst?« Obwohl Violas Neugierde geweckt war, blieb sie äußerlich ruhig.
»Die Rechtsmedizin in Oldenburg. Soweit ich das verstanden habe, handelt es sich um einen Fall von häuslicher Gewalt. Mann schlägt Frau, Frau kommt ins Krankenhaus. Dort stellt man fest, dass die Frau zusätzlich eine FSME hat. Nun will die Staatsanwaltschaft wissen, woran die Frau tatsächlich gestorben ist, um gegebenenfalls den Mann vor Gericht zu stellen.«
»Und? Gibt es eine Antwort?«
»Anscheinend hat ein Blutgerinnsel im Gehirn knapp vor der FSME das Rennen gemacht.«
»Schuld am Tod ist also der Mann?«
»Sieht so aus.« Daniel stieß die Tür zum Labor auf. »Hast du eine Ahnung, wo Oldenburg liegt?«
»Ziemlich weit im Norden.«
»Ja. Und so heißt auch die Stadt, in der die Frau verstorben ist.«
»Norden?«
»Ein Provinznest in Ostfriesland. Die Frau lebte auf
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