Fürchte dich nicht!
Sprungfeder sitzen. »Tun Sie mir einen Gefallen!«
»Was?«
»Nehmen Sie sich ein paar Tage frei! Oder zwei oder drei Wochen. Machen Sie mal Urlaub! Spannen Sie aus!«
Viola fühlte sich wie vor den Kopf geschlagen. »Jetzt? In dieser Situation? Wo jede Menge Aufgaben anstehen, die umgehend erledigt werden müssen. Da können Sie doch nicht von mir erwarten, dass ich Urlaub mache.«
»Ich versuche nur, Sie aus der Schusslinie zu nehmen. In Ihrem eigenen Interesse.«
»Was für eine Schusslinie?«
»Sie sind nach Norderney gefahren, ohne mich vorher zu informieren.«
»Weil ich vermeiden wollte, was Sie mir gerade vorwerfen: in den blauen Dunst zu spekulieren. Ich war da, um Material zu sammeln.«
»Und Sie haben mit Leuten geredet und vielleicht den einen oder anderen misstrauisch gemacht. Besitzen Sie eine Vorstellung, welchen Aufruhr das erzeugt, wenn die Presse von Ihrem Verdacht Wind bekommt?«
»Ich habe nichts …«
»Das ist auch nicht nötig«, würgte Blechschmidt sie ab. »Die bloße Tatsache, dass eine auf Infektionskrankheiten spezialisierte Wissenschaftlerin kommt und Fragen stellt, regt die Fantasie der Menschen an. Nichts ist verkaufsträchtiger als eine unheimliche Bedrohung. Und einige Medien werden sich zwangsläufig für Ihre Vergangenheit interessieren.«
Viola hatte Mühe zu sprechen. »Das ist nicht fair.«
»Natürlich ist es das nicht. Aber wir wissen, wie einige Journalisten arbeiten. Möchten Sie solche Schlagzeilen lesen? Irgendjemand wird ausplaudern, dass Sie zwei Suizidversuche hinter sich haben.«
»Das eine hat mit dem anderen nichts zu tun«, sagte Viola bitter. »Ich habe meine Arbeit immer korrekt erledigt.«
»Sie sind eine hervorragende Wissenschaftlerin«, nickte der Professor. »Eben deshalb möchte ich Sie ja schützen. Lassen Sie uns die Sache in Ruhe verifizieren. Und die Presse informieren, sobald wir hundertprozentig sicher sind. Wenn sich die erste Aufregung gelegt hat, steigen Sie selbstverständlich wieder ein. Bis dahin …«
Viola war unfähig, einen klaren Gedanken zu fassen. Mit allem hatte sie gerechnet, mit Zweifeln, Bedenken, kritischen Nachfragen, aber nicht damit, eiskalt ausgebootet zu werden. Sie spürte, wie jegliche Energie aus ihr wich. Als sie aufstand, musste sie sich an der Lehne des Stuhls festhalten.
»Das war nicht allein meine Entscheidung«, sagte Professor Blechschmidt sanft. »Ich habe mich abgesprochen. Glauben Sie mir, es ist das Beste für Sie.«
Wie betäubt lief sie durch die Flure. In ihrem Büro fuhr sie den Computer herunter, dann schnappte sie sich ihre Reisetasche, die in einer Ecke stand. Nur weg hier. So schnell wie möglich. Erst als sie am Straßenrand wartete, fiel ihr ein, dass sie vergessen hatte, ein Taxi zu bestellen.
»Viola!« Heiner Stegebach stieg aus seinem Auto.
»Was machst du denn hier?«
»Soll ich dich nach Hause bringen?«
»Woher weißt du …« Sie verstummte. Das Gesundheitsministerium war also auch schon informiert. Die Anweisung, sie für eine Weile in die Wüste zu schicken, kam anscheinend von ganz oben. »Danke, ich schaffe es allein.«
»Viola, sei nicht sauer!«
»Ich habe ein Recht, sauer zu sein«, fuhr sie ihn an. »Das ist mein Fachgebiet. Ich bin für Zecken zuständig.«
»Aber nicht für Norderney.«
Was redete er da? Viola blinzelte, weil ihr die Sonne in die Augen stach. Die Verkehrsgeräusche klangen seltsam dumpf, wie gefiltert.
»Lebst du auf dem Mond? Guckst du keine Nachrichten? Auf Norderney findet in drei Monaten ein europäisches Gipfeltreffen statt. Wie kommt das wohl an, wenn ausgerechnet dort ein neues Virus in Erscheinung tritt?«
Heiner stand mit dem Rücken zur Sonne. Sie konnte seine Augen nicht erkennen. Meinte er das ernst, was er sagte? Oder übermittelte er ihr eine versteckte Botschaft, die sie nicht verstand?
»Und bis dahin müssen Menschen krank werden, vielleicht sogar sterben?«
»Nein, müssen sie nicht. Wir werden in den nächsten Tagen vor Zecken warnen und zu einer allgemeinen Impfung aufrufen.«
»Der bisherige Impfstoff wirkt möglicherweise nicht.«
»Wir haben keinen besseren.«
»Wie du meinst.« Sie wandte sich ab.
»Viola!« Heiner hielt sie am Arm fest. »Mach bitte keine Dummheit! Du hast doch noch mit niemandem darüber geredet, oder?«
Sie schüttelte ihn ab. »Dummheit ist wohl das, was ihr Politik nennt.«
15
Betreff: Verkünde, du sahst uns hier liegen, wie das Gesetz es befahl
Die Spartaner kannten keine Angst.
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