Fürchte dich nicht!
Tierärztin kicherte. »Sicher. Die Gene von Mäusen und Menschen sind zu fünfundneunzig Prozent identisch. Forscher konstruieren Mäuse mit Parkinson, Alzheimer oder dem Downsyndrom.«
» Knock-out-Mäuse « , warf Viola ein.
»Richtig. Die meisten unserer Patienten sind Knock-out-Mäuse, in deren Stammzellen ein Gen ausgeschaltet wurde. Sie bekommen Diabetes, Krebs oder Fettleibigkeit, all die Krankheiten, die uns Menschen plagen. Mal sehen, was auf dem Plan steht.«
Sie betraten die Neurologie-Abteilung, eine sichtlich verunsicherte Maus mühte sich unter der Kontrolle einer menschlichen Aufseherin, nicht von einer rotierenden Walze zu fallen.
»Das sogenannte Rota-Rad«, erklärte Schmitt-Holstenbrock belustigt. »So was wie Rodeo-Reiten für Mäuse. An der Zeit, die sie sich oben halten, kann man ihr Koordinationsvermögen messen.«
»Haben Sie auch Mäuse mit FSME?«, fragte Geis, dem die akademische Lehrstunde auf den Geist ging.
»FSME?« Zum ersten Mal wurde die Tierärztin ernst, ihr mädchenhaft-schelmisches Gesicht wirkte auf einen Schlag um zehn Jahre älter. »Nein, FSME haben wir nicht. Jedenfalls nicht zu Forschungszwecken.«
»Was ist mit den Mäusen von Professor Walter?«, fragte Viola schnell, bevor Geis eine weitere Bemerkung machen konnte.
»Die sind etwas ganz Besonderes.« Schmitt-Holstenbrock strahlte wieder.
»Wieso?«
»Weil es sich bei ihnen nicht um Züchtungen handelt. In Japan ist es zum Beispiel gelungen, durch gentechnische Veränderung des Geruchssinns Mäuse ohne Furcht zu züchten.«
»Wissen wir«, knurrte Geis.
Viola warf ihm einen warnenden Blick zu.
»Die Mäuse von Professor Walter kommen jedoch vollkommen normal zur Welt«, fuhr Schmitt-Holstenbrock ungerührt fort. »Bei ihnen wird das Angst-Gen erst später, nach einer einschlägigen Erfahrung, ausgeschaltet. Das eröffnet eine neue Stufe der medizinischen Entwicklung.«
»Und wie wirkt sich das klinisch aus?«, fragte Viola.
»Es ist unglaublich«, begeisterte sich die Tierärztin. »Die Mäuse mit deaktiviertem Angst-Gen liegen bei allen Befunden im oberen Bereich, die nicht therapierten Mäuse dagegen schneiden unterdurchschnittlich ab. Sie tendieren zu Untergewicht, haben Probleme, sich zu konzentrieren, und leiden häufiger als andere unter Herz-Kreislauf-Krankheiten. Mit einem Wort: Angst macht krank.«
»Und ist manchmal sogar tödlich«, sagte Geis.
»Wie ich Ihnen bereits sagte«, übernahm Viola, »überprüfen wir die Möglichkeit, ob einige angstfreie Mäuse auf dem Weg vom Institut in Münster zur Mäuseklinik verloren gegangen sind. Denn mit diesen Mäusen könnte ein Virus in die freie Wildbahn gelangt sein.«
»FSME?« Wieder machte das Gesicht der Ärztin einen rasanten Alterungsprozess durch.
Viola nickte.
Die Verunsicherung der Ärztin war deutlich zu spüren. »Das halte ich für absolut unwahrscheinlich.«
Sie weiß etwas, dachte Viola.
»Aber nicht für unmöglich«, hakte Geis prompt nach.
»Nun, die Mäuse werden registriert und …«
»Sie haben doch einen Verdacht.« Der Hauptkommissar war jetzt in seinem Element. »Sagen Sie es einfach! Dann haben wir es hinter uns.«
»Um Himmels willen, ich konnte ja nicht ahnen, dass …«
»Was?«
»Wir nennen ihn Professor, wegen seines Aussehens und seiner Zerstreutheit. Er hat lange graue Haare, eine runde Hornbrille und einen Bart. Sein Vorname ist Rainer, den Nachnamen kenne ich nicht.«
»Was macht der Professor?«, fragte Geis.
»Er arbeitet nebenan, bei der Firma Dia-Lab, die testen neue Arzneimittel auf mögliche Nebenwirkungen. Allerdings ist der Professor kein Naturwissenschaftler, mir hat er mal erzählt, dass er Theologie studiert habe und als Missionar in Afrika war. Ob das stimmt, weiß ich nicht. Für Dia-Lab erledigt er jedenfalls einfache Aushilfstätigkeiten.«
»Und für Sie?«, fragte Viola.
Schmitt-Holstenbrock verzog das Gesicht. »Uns hilft er manchmal bei den Mäusetransporten, wenn jemand ausfällt. Dia-Lab hat ja auch Mäuse und da …«
»… sind schon mal welche verschwunden«, ergänzte Geis.
Die Tierärztin erstarrte. »Er hat gesagt, sie seien während der Fahrt gestorben.«
»Müssen die Tiere nicht verbrannt werden?«
»Das hat er selbst erledigt. Im Autoklav von Dia-Lab. «
»Gesehen hat das niemand, oder?«
Schmitt-Holstenbrock nagte mit ihren überstehenden Schneidezähnen an der Unterlippe. »Bekommen wir jetzt Ärger?«
»Warten wir mal ab, was die Befragung des Professors
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