Fürchte dich nicht!
bedeckt war. Thedinga zuckte zusammen, als hätte ihn ein Stromschlag getroffen.
»Er nennt sich Deus. Ich bin ihm noch nicht begegnet. Es gibt ein Forum im Internet, in dem sich die Infizierten austauschen. Dort spricht er manchmal zu uns. Aber in den nächsten Tagen möchte er einige von uns persönlich treffen. Dann verrät er uns mehr über seinen Plan.« Ihr Atem strich über seine Wange. »Jemanden wie dich könnten wir gut gebrauchen. Wenn du willst, fahren wir zusammen hin.«
»Ja. Ja«, sagte Thedinga. »Ja, ich will.«
39
Berlin, Wilmersdorf
Die Luft war noch frisch, aber schon bald würde sie auf der Haut kleben wie ein Latexanzug. Zwei Tage schönes Wetter, dann folgte unweigerlich eine Gewitterfront. So war es stets in Berlin. Heute hatte Viola den Wetterumsturz gerochen – auf ihrer Runde durchs Quartier.
Sie lief jetzt jeden Morgen, um körperlich wieder fit zu werden. Beim ersten Mal hatte sie nicht mal einen Kilometer geschafft, inzwischen näherte sie sich der Fünf-Kilometer-Distanz. Es machte ihr Spaß, an die Grenze zu gehen, sich auszupowern. Laute Musik auf den Ohren und Frust abbauen. Frust über die eintönigen, sich ständig wiederholenden Tagesabläufe. Denn es war so gekommen, wie sie vermutet hatte. Man hatte sie nicht als Zeckenexpertin nach Berlin zurückgeholt, sondern als Testperson. Die meiste Zeit verbrachte sie in Röhren und abgedunkelten Räumen, man scannte ihr Gehirn und maß mit am Kopf befestigten Elektroden ihre Reaktionen auf Bilder und Aussagen. Statt an vorderster Front für die Eindämmung der FSME-Epidemie zu sorgen, redete sie mit Neurologen, Psychiatern und Psychologen, die sie zu allem Möglichen befragten, nur nicht zu dem, was gesundheitspolitisch momentan am notwendigsten gewesen wäre. Und in den Pausen, während sie sich von dem Gequatsche erholte, nahm man ihr Blut ab oder schickte sie aufs Laufband.
Ihre Ausflüge zum Bundesinstitut für Infektionskrankheiten hatten Seltenheitswert, sie vermisste die Arbeit im Büro und den Gedankenaustausch mit Kollegen. Schaffte sie es zufällig zu einer der regelmäßig stattfindenden Abteilungskonferenzen, fühlte sie sich wie ein Fremdkörper, mehr geduldet als respektiert, umgeben von einer unsichtbaren Quarantänekapsel, die Daniel Felsenburg, Professor Blechschmidt und die anderen davon abhielt, sich ihr zu nähern, als könne das Protein, das sich in ihrem Gehirn eingenistet hatte, durch die Luft übertragen werden.
Es war zum Kotzen. Zumal auch Geis sich nicht mehr bei ihr meldete.
Viola las noch einmal den Text, den sie direkt nach dem Laufen in den Computer gehackt hatte:
Herr Wesseling (oder wer auch immer Sie sind),
dass ich Sie unbekannterweise dazu animiert habe, eine Flasche Champagner zu öffnen, freut mich nicht im Geringsten. Es wird der einzige Traum bleiben, den ich Ihnen erfülle, alle anderen können Sie sich abschminken. In meinen Träumen kommen Sie nämlich nicht vor, allenfalls in Albträumen, die von der Katastrophe einer Virus-Epidemie handeln.
Sie sind, um das klar und unmissverständlich auszudrücken, ein Verbrecher. Ihre selbstsüchtigen und morbiden Fantasien bringen Sie dazu, das Leid und den Tod vieler Menschen in Kauf zu nehmen. Wie den des Jungen, der im Fieberwahn vom Norderneyer Leuchtturm gesprungen ist. Vor meinen Augen.
Ein Mörder sind Sie, an Ihren Händen klebt Blut, egal welche Rechtfertigungen und verdrehten Theorien Sie für Ihre Taten bemühen. Mich können Sie damit nicht beeindrucken. Was auch immer Sie von mir erwarten: Vergessen Sie es! Ich werde nicht zu Ihnen kommen. Und ich werde Ihnen schon gar nicht dabei helfen, das Virus weiter zu verbreiten.
Ich weiß, was Sie jetzt einwenden werden: Ich sei undankbar, immerhin habe ich Ihre Virus-Kreation genutzt, um meine Angst zu verlieren.
Richtig ist, dass ich mir die neue FSME ganz bewusst zugezogen habe. Richtig ist auch, dass ich es bis heute nicht bereue. Allerdings – und das ist der große Unterschied zu allen anderen Infizierten – hatte ich die Möglichkeit, eine Entscheidung zu treffen, in voller Kenntnis der Risiken. Die übrigen Erkrankten (Sie selbst vielleicht ausgenommen) wurden von dem Virus heimtückisch überfallen.
Deshalb werde ich alles dafür tun, Ihre Pläne zu durchkreuzen. Geben Sie auf! Stellen Sie sich der Polizei! Und lassen Sie Martin Geis aus dem Spiel! Mein Privatleben geht Sie einen Dreck an.
Dr. V. de Monti
Viola klickte auf Senden , die E-Mail machte
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