Fürchte dich nicht!
werde Ihnen sagen, was Sie machen: Sie ziehen Ihre Aussage gegen Geis zurück!«
»Aber …«
»Kein Aber. Sie sind am Strand gestolpert und mit der Nase auf einen verdammten Stein gefallen. Sie wollten Geis die Sache nur anhängen. Wegen der alten Geschichte.«
»Und ich …«
»Sie haben nichts zu befürchten. Dafür sorge ich. Also: Sind wir uns einig?«
Goronek holte Luft zu einer wütenden Antwort. Dann sagte er: »Ja.«
Der Mond hing wie ein Stück schimmeliger Käse über den Baumwipfeln. Es unkte und quakte aus stinkenden schwarzen Tümpeln. In einiger Entfernung stachen Autoscheinwerfer Lichtschlitze in die Nacht. Geis kam sich schäbig vor. Seit ein paar Stunden fuhr er ziellos herum, stieg ab und zu aus, lief durch ein Dorf oder einen Wald, fuhr wieder weiter. Er hätte nicht sagen können, wo er überall gewesen war, und auch nicht, wo er sich momentan befand, den Navigator hatte er längst abgeschaltet.
Ein abgestorbener Baum versperrte ihm den Weg. Beißender Torfgeruch mischte sich mit dem Gesumm blutgeiler Insekten. Die Juliluft war noch warm vom Tag, fast so samtweich wie eine italienische Sommernacht. Geis dachte an den letzten Familienurlaub. Gardasee. Kitesurfer, die in der Abenddämmerung über das Wasser glitten und durch die Luft segelten. Annika, die sich an ihn hängte, wenn er auf den See hinausschwamm, die er vom Restaurant zum Hotel tragen und ins Bett bringen musste. Er war ihr Held gewesen. Damals. Als er glaubte, seine Familie würde ewig zusammenbleiben.
Heute wartete Viola auf ein Wort, eine Geste von ihm. Aber er konnte nicht. Er empfand nichts für sie. Oder doch, er empfand etwas: Angst. Angst vor dem Virus, das ihre Persönlichkeit veränderte. Das sie unberechenbar machte und möglicherweise zu den verrücktesten Dingen trieb. Müsste er nicht bei jedem Streit fürchten, dass sie vollkommen ausrastete und mit dem Messer auf ihn losging? Wie sollte er sich in jemanden verlieben, dessen Verstand von einer im Labor konstruierten Molekülkette gesteuert wurde?
Viola dagegen hatte sich für ihn eingesetzt, hatte dafür gesorgt, dass er ohne einen schwarzen Fleck in seiner Personalakte den Dienst wieder aufnehmen konnte. Mit allen Rechten. Sogar mit zusätzlichen Privilegien. Statt nach Norderney zurückzukehren, durfte er bis zum Abschluss der Ermittlungen an der Zeckengeschichte dranbleiben. Zwar hatte Goronek es abgelehnt, ihn in sein Team aufzunehmen, aber das kam Geis durchaus gelegen. Ein Mitglied der Sonderkommission hielt Kontakt mit ihm, ansonsten genoss er bei seiner Arbeit völlige Freiheiten. Was wollte er mehr?
Sein Handy klingelte. Eine unbekannte Nummer. Geis meldete sich.
»Schöning. Wo sind Sie?«
»In der Nähe von Münster. Warum?«
»Die Spurensicherung hat noch mal das Haus von Wesseling untersucht. Unter den Dielen in der Küche sind sie auf etwas gestoßen. Ich dachte, das würde Sie interessieren.«
»Was ist es denn?«
»Kommen Sie einfach her und sehen Sie es sich an!«
Die Leitung wurde unterbrochen. Geis guckte auf die Zeitanzeige des Handys. Kurz vor elf. Offenbar hatten die Kollegen eine Goldader entdeckt.
Geis lief zu seinem Wagen zurück und schaltete den Navigator ein. Venner Moor – das Display verriet den Namen der unwirtlichen Landschaft, durch die er gestolpert war. Wesselings Kate befand sich weniger als fünf Kilometer entfernt.
Statt Bischoff, den Geis als Verbindungsmann vorgeschlagen hatte, war ihm Schöning zugeteilt worden. In diesem Punkt hatte Goronek auf stur geschaltet. Offenbar brauchte er das für sein Ego, um mit dem Arrangement leben zu können. Und da Geis den Konflikt nicht weiter auf die Spitze treiben wollte, hatte er nachgegeben. Letztlich war es egal, welches Mitglied der Sonderkommission ihn kontrollierte. Dass er intern jeglichen Kredit verspielt hatte, stand sowieso fest.
Das Haus war von einem Wall von Fahrzeugen umgeben. Schöning erwartete ihn an der Haustür. Sie trug einen blauen Schutzanzug, unter der Kapuze lugten ihre rot gefärbten Haare hervor. Geis wusste, dass sie ihn genauso wenig leiden konnte wie er sie. Das machte den Umgang einfacher.
Die Hauptkommissarin reichte ihm einen Plastikoverall und ein Paar Handschuhe. »Das haben Sie beim letzten Mal vergessen. Hat uns die Arbeit nicht leichter gemacht, Ihre Fingerabdrücke waren im ganzen Haus verteilt.«
»Da war ich nicht im Dienst.«
»Das Resozialisierungsprogramm für Einbrecher sieht vor, dass Sie sich diesmal an die
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