Fürchte dich nicht!
was bei Dia-Lab los ist?«
»Sehr mysteriös«, hauchte die Tierärztin. »Von einem Tag auf den nächsten hat Eichkorn den Laden dichtgemacht und seine Leute nach Hause geschickt.«
»Und warum?«
»Angeblich gibt es keine Aufträge mehr.«
»Angeblich?«
Schmitt-Holstenbrock zog die Schultern so hoch, dass sie fast die Ohren berührten. »Bei uns klingelt ständig das Telefon, weil seine Kunden auf der Suche nach ihm sind. Die sind wütend, weil Dia-Lab nicht mal die laufenden Aufträge abgewickelt hat.«
»Vielleicht sind Eichkorn die Kosten über den Kopf gewachsen?«
»Kann sein. Kann aber auch sein, dass er einfach keine Lust mehr hatte. Er tat jedenfalls so, als hätte er es nicht nötig, Geld zu verdienen. Wenn man sich mit ihm unterhalten hat, vermittelte er einem den Eindruck, er betreibe seine Firma nur aus Zeitvertreib. Ehrlich gesagt, ich mag Eichkorn nicht besonders. Ein Zyniker, der weder sich selbst noch seine Arbeit ernst nimmt.«
Schmitt-Holstenbrock sagte das mit der Verachtung einer Frau, die ihre monatlichen Gehaltsüberweisungen für viele notwendige Dinge verwendete. Der Gedanke, auf ein regelmäßiges Einkommen zu verzichten, kam ihr wahrscheinlich wie ein Frevel vor.
»Trotz seiner Familie?«, hakte Geis nach.
»Wer hat Ihnen von seiner Familie erzählt?«
»Er selbst. Er sagte, er habe eine Frau und zwei Kinder.«
»Dann hat er gelogen. Alle, die ihn kennen, erzählen, dass er seit seinem Studium allein in Münster lebt. Von einer Frau an seiner Seite habe ich noch nie etwas gehört. Und ich habe große Ohren.«
Unwillkürlich schaute Geis auf ihre Ohren. Große, oben spitz zulaufende Ohren, die von den im Nacken festgesteckten Haaren nicht bedeckt wurden. Mäuseohren.
Die Tierärztin kicherte.
Auf dem Rückweg nach Münster ließ sich Geis die Privatadresse von Eichkorn übermitteln. Er spürte ein Kribbeln im Bauch. In seiner hannoverschen Zeit hatte es immer dann eingesetzt, wenn sie bei komplizierten Mordfällen dicht davor standen, den Täter zu überführen. Oder es zumindest glaubten.
Noch hatte er nichts gegen Eichkorn in der Hand, rief sich Geis ins Gedächtnis. Für die überraschende Schließung von Dia-Lab gab es hundert mögliche Gründe und neunundneunzig davon waren harmlos. Ein denkbarer Grund allerdings hing direkt mit ihrem bislang einzigen Verdächtigen zusammen: Eichkorn hatte Wesseling benutzt, um die neue FSME in Umlauf zu bringen, und ihn anschließend getötet. Als Wesselings Leiche entdeckt wurde, war Eichkorn in Panik geraten und geflohen. Das würde vieles erklären, von den wissenschaftlichen Kenntnissen, die für die genetische Veränderung des Virus nötig waren, bis zu der abgedrehten Sprache der E-Mails. Auch Viola hatte sich ja über die Ausdrucksfähigkeit und die komplexen Gedankengänge des früheren Missionars und späteren Mäusepflegers gewundert. Was, wenn nicht Wesseling, sondern Eichkorn unter dem Deckmantel seines Angestellten der Verfasser war? Alles ergab plötzlich mehr Sinn.
Trotzdem ermahnte sich Geis, nicht zu siegessicher zu sein. In einem Punkt wies seine Theorie nämlich eine Lücke auf: Viola hatte Eichkorn nicht erkannt und war ihm offenbar noch nie begegnet. Der Täter aber behauptete, sich des Öfteren in ihrer Nähe aufgehalten zu haben.
In der Straße, die zu Eichkorns Adresse gehörte, reihte sich ein Jugendstilhaus an das andere. Die Gegend sah nach Geld aus, Ärzte, Rechtsanwälte, Professoren, vermögende Singles und doppelt verdienende Paare ohne Kinder, die es sich in Zweihundert-Quadratmeter-Altbauwohnungen gemütlich machten. Geis hätte nichts damit anzufangen gewusst. Räume ohne Menschen waren Verschwendung, schon die Zweizimmerwohnung auf Norderney war ihm manchmal viel zu groß vorgekommen.
Auf dem Klingelbrett standen drei Namen, für jede Etage einer. Eichkorn bewohnte die mittlere. Geis überlegte, ob er nach Dienstvorschrift verfahren und Verstärkung anfordern sollte. Dazu hätte er Schöning seine Überlegungen mitteilen müssen. Und ein paar Minuten später würde die gesamte Sonderkommission informiert sein. Nein, er durfte nicht riskieren, sich lächerlich zu machen. Falls er sich irrte, Eichkorn zu Hause saß und eine plausible Erklärung für das Ende von Dia-Lab vorweisen konnte, blieb der Verdacht sein kleines Geheimnis.
Schwach drangen die Klänge einer Jazzmelodie zur Haustür, nachdem Geis die Türklingel benutzt hatte. Eichkorns Nachbarn besaßen ähnlich kreative Töne. Auch die
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