Fuerchte nicht das tiefe blaue Meer
Umhang an wie die Leute, die damals Amerika besiedelt haben, vor hundert Jahren oder so. Und er hatte einen Stock. Einen langen Stock.«
»Du meinst, so etwas wie einen Spazierstock?«, hakte River nach.
»Genau, ein Spazierstock. Er war wie eine Schlange geschnitzt. Er hat sich vom Himmel heruntergestürzt und hat sich Isobel geholt. Ich hätte gedacht, der Teufel würde aus der Erde kommen, also aus der Hölle, meine ich, aber er kam wie ein Engel vom Himmel.« Jack stemmte seine blassen, sommersprossigen Fäuste in die Seiten. »Und dann ist er einfach so wieder verschwunden. Wir warten hier, bis er zurückkommt. Und dann bringen wir ihn um.«
»Ja, genau«, sagten die anderen Jungs. »Wir bringen ihn um.«
Es war nur ein Spiel. Irgendein Kinderspiel, das zu weit gegangen war. Ich blickte in ihre ernsten Gesichter, auf die Holzpflöcke, die sie umklammerten, und wunderte mich, wie seltsam still und reglos sie wirkten, wie Jungs es eigentlich nie sind. Dann dachte ich an das kleine Mädchen. Isobel. War sie nach Hause gegangen, ohne ihrem Bruder Bescheid zu geben? Oder hatte sie tatsächlich jemand entführt?
River stellte sich hinter mich, schlang mir einen Arm um die Taille und zog mich an sich. »Lass uns gehen«, flüsterte er mir ins Ohr. »Die Jungs spielen nur und haben Spaß. Sie kommen schon klar.«
Ich spürte ein Prickeln im Nacken, wo Rivers Atem meine Haut gestreift hatte. Aber ich achtete nicht darauf, sondern löste mich aus seiner Umarmung und ging vor Jack in die Hocke, der mittlerweile auf dem Boden kniete und mit einem Messer die Enden eines Zweigs anspitzte. »Ich hoffe, ihr findet den Teufel. Aber seid vorsichtig, ja? Es ist schon spät. Eure Eltern machen sich bestimmt Sorgen um euch.«
»Ich muss noch ein paar Pflöcke schnitzen«, sagte er, ohne aufzuschauen. »Es kommen gleich noch mehr Kinder, die uns helfen wollen. Isaac ist sie holen gegangen. Ich habe Charlie versprochen, dass er den Teufel pfählen darf, falls … falls seine Schwester tot ist. Ich habe ihm versprochen, dass …«
Er verstummte, weil er so in seine Arbeit vertieft war. River legte mir einen Arm um die Schulter und führte mich zum Tor zurück. Ich sah ein letztes Mal über die Schulter zu Jack, der immer noch am Boden kniete. In seinen Augen hatte kein übermutiges Funkeln gelegen, kein Stolz darüber, dieses Spiel erfunden zu haben, keine aufgeregte Freude, weil sie so spät noch draußen waren. Er war so ernst gewesen wie ein junger Soldat, der in den Krieg zieht. Das fand ich seltsam und verstörend. Ich fragte mich, ob ich jemanden über das informieren sollte, was hier vor sich ging. Vielleicht sollte ich zur Polizei gehen oder die Eltern ausfindig machen …
»Violet.«
Ich blieb stehen und sah River an.
»Es wird ihnen nichts passieren. Das ist nur ein Spiel.«
Ich schwieg.
River lehnte seine Hüften an meine und drückte mich sanft gegen das schmiedeeiserne Tor. Seine Finger strichen über meinen Hinterkopf und dann …
… küsste er mich. Als seine Lippen meine berührten, hörte ich. Einfach. Auf. Zu. Denken. Ich dachte nicht darüber nach, dass River immer noch ein Fremder für mich war. Ich dachte nicht an den Tunnel oder an Jack oder den Teufel. Ich dachte an nichts. An gar nichts. Meine Lippen verschmolzen mit meinem Herzen, mein Herz verschmolz mit meinen Beinen, und meine Beine verschmolzen mit der Erde unter mir.
Danach begleitete River mich im Mondschein nach Hause. Wir sprachen beide nicht.
Und alles war nahezu perfekt.
Neuntes Kapitel
Ich übernachtete im Gästehaus.
Zuerst hatte ich in meinem eigenen Bett geschlafen. Aber irgendwann mitten in der Nacht wachte ich auf und tapste einen Moment später barfuß die kalten Marmorstufen der großen Treppe hinunter, ging durch das taunasse Gras am Gewächshaus vorbei zum Gästehaus und kroch zu River ins Bett.
Ich weiß nicht, warum ich das tat. Ich tat es einfach. River hatte gesagt, dass er mich mochte, und ich mochte ihn. Er erinnerte mich irgendwie an … mich selbst. Was bei Tageslicht betrachtet vielleicht albern klingt, aber im nächtlichen Halbschlaf erschien es mir vollkommen vernünftig.
River lag auf der Seite. Seine geschlossenen Augen, seine gerade Nase und sein geschwungener Mund leuchteten in einem Streifen Mondlicht auf, der durch die Fenster fiel. Ich hob die Decke an und schlüpfte neben ihn. Er wachte auf, schlang die Arme um mich, vergrub sein Gesicht in meinem Nacken und schlief wieder ein.
Falls ihn mein
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