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Fuerchte nicht das tiefe blaue Meer

Fuerchte nicht das tiefe blaue Meer

Titel: Fuerchte nicht das tiefe blaue Meer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: April Genevieve Tucholke
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plötzliches Auftauchen überraschte, war er vermutlich zu schlaftrunken, um es zu zeigen.
    Und so verbrachte ich den Rest der Nacht an seinen Körper geschmiegt, schlief zum zweiten Mal innerhalb von vierundzwanzig Stunden neben ihm ein und wachte neben ihm auf.
    River gehörte zu den Menschen, die wie Waldwesen schliefen oder wie jemand, der unter einem Feenzauber steht. So als wäre er nicht von dieser Welt – berückend schön und seelenruhig, mit schimmernden Augenlidern und einem leichten Schmollmund. Ich kam mir neben ihm zerknittert, zerzaust und sehr, sehr real vor. Als ich erwachte, stand ich auf und ging zum Fenster. Draußen waren das Meer und der Himmel grau und stürmisch. Die Wolken zogen als riesige dunkle Gebilde bedrohlich über das Haus hinweg und die Luft schmeckte salzig und erwartungsvoll.
    Durch den dichten Nebel konnte ich kaum die Wellen sehen, geschweige denn, den Horizont ausmachen. Manche Menschen hätten sich davon wahrscheinlich beengt gefühlt, so als würden sie in einer Falle sitzen – ich nicht. Ich war mit dem Meer im Vorgarten aufgewachsen. Für mich fühlte es sich genauso tröstlich an wie für andere Leute ein weiß lackierter Lattenzaun.
    Ein scharfer Schmerz fuhr durch mein Knie, als ich mich streckte, und erinnerte mich wieder an die vergangene Nacht, in der ich zu Boden gerissen worden war.
    Wenn früher unsere Cousins und Cousinen zu Besuch gewesen waren, hatten wir auch manchmal spätabends noch draußen gespielt. Eines unserer Spiele hieß »Verbrennt die Hexe«, und ich weiß noch, wie mein Herz jedes Mal raste, bis ich irgendwo hinter dem Haus ein sicheres Versteck gefunden hatte. Und dann begann das schier endlose, bange Warten, bis jemand mich fand und laute »Verbrennt die Hexe!«-Schreie durch die kühle Nachtluft hallten.
    Trotzdem.
    Die seltsamen Jungen mit ihren selbst geschnitzten Pflöcken, ihrer merkwürdigen Beschreibung des Teufels und der Behauptung, ein kleines Mädchen sei verschwunden, waren mir unheimlich.
    Ich räkelte mich noch einmal und strich das schwarze Seidennachthemd glatt, das ich trug. Als ich es vor ein paar Tagen in Freddies Kommode entdeckt hatte, hatte es noch nach ihrem französischen Parfum geduftet. Jetzt duftete es nach River.
    »Was zur Hölle ist hier los?«
    Ich drehte mich um und sah Luke in der Tür zum Schlafzimmer stehen.
    River wachte auf, gähnte und grinste.
    »Hier ist gar nichts los, Luke«, sagte ich. »Davon abgesehen, wüsste ich nicht, was dich das angeht. Und das nächste Mal klopf gefälligst an. Das ist jetzt nicht mehr dein Haus. River hat es gemietet, und du kannst nicht einfach hier reinspazieren, wann es dir passt.«
    »Ich habe geklopft, aber es hat niemand reagiert. Und du warst heute Morgen nicht da, Violet. Ich hab mir Sorgen gemacht. Wenn meine Zwillingsschwester zum ersten Mal morgens nicht in ihrem eigenen Bett liegt …« Lukes Blick wanderte durch den Raum und blieb kurz an River hängen. »… dann habe ich ja wohl das Recht, nach ihr zu suchen.«
    Ich musste lächeln. »Heißt das etwa, dass ich dir wichtig bin, Luke?«
    Luke erwiderte das Lächeln nicht. »Nein.«
    »Guten Morgen«, sagte River so beiläufig und entspannt, als hätte er damit gerechnet, dass mein Bruder ihn wecken würde. Als wäre es ihm sogar ganz recht so. »Will jemand einen Kaffee? Ich habe gestern frischen Espresso gekauft.«
    Luke schüttelte den Kopf. »Später vielleicht. Ich hab Neuigkeiten. Heute Morgen war ich in der Stadt, weil Maddy Frühschicht im Café hatte, und ich kann euch sagen, da unten ist die Hölle los. Ein kleines Mädchen wird vermisst. Sie ist gestern Abend vom Friedhof verschwunden. Überall wimmelt es von Polizisten und Suchtrupps. Es sind sogar ein paar Reporter aus Portland angerückt. Total verrückt.«
    Ich presste eine Hand auf mein Herz. Isobel. Charlies Schwester. Ich sah River an, der interessiert zuhörte, dessen Miene aber unbeteiligt blieb. »Ein kleines Mädchen?«, sagte ich zu meinem Bruder. »Und sie ist vom Friedhof verschwunden? River und ich waren gestern Abend …«
    Luke hob die Hand. »Ich war noch nicht fertig, Vi. Das Beste kommt erst noch. Ein paar kleine Jungs haben angeblich gesehen, wer sich das Mädchen geschnappt hat, und sie behaupten … Achtung, jetzt kommt’s: Sie behaupten, es wäre der Teufel gewesen.« Luke lachte. »Der Teufel. Ist das zu fassen? Einer der Journalisten war im Café und wir kennen ihn sogar. Jason Foster, erinnerst du dich noch an ihn, Violet? Er

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