Fuerchte nicht das tiefe blaue Meer
entgegenstreckte. Sie war ein sonniges kleines Ding mit braunen Augen und schwarzen Locken. Ich erwiderte ihr Lächeln, nahm den Reifen, schlüpfte hinein und schwang die Hüften. Anfangs stellte ich mich noch etwas unbeholfen an, bis mein Körper sich wieder an die richtigen Bewegungen erinnerte und der Reifen schließlich wie von selbst kreiste.
Das Mädchen schaute mir zu. Alle anderen hatten den Blick auf die Leinwand gerichtet, auf der in diesem Moment der Vorspann begann. Ich ließ rhythmisch die Hüften kreisen, mein gelber Rock schwang dazu im Takt, und River schaute mit dem Jojo in der Hand zu mir rüber. Die Jungs sahen immer noch zu ihm auf, als wäre er der großartigste Mensch der Welt – alle bis auf einen. Den Jungen mit den kupferfarbenen Haaren, der viel zu ernst für sein Alter wirkte.
Ich gab dem Mädchen ihren Reifen zurück und bedankte mich bei ihr, worauf sie lachend zu ihren Freunden zurückrannte.
River setzte sich wieder neben mich und bastelte an irgendetwas herum, als ich plötzlich Luke am Rand des Parks unter einer Eiche entdeckte, wo er mit Maddy herummachte. In der einen Hand hielt er eine Flasche, mit der anderen begrapschte er ihren Hintern.
Gott, Luke. Du bist so eine Enttäuschung, dachte ich. Und dann wurde mir klar, dass es ziemlich bescheuert war, so etwas zu sagen, selbst wenn man es nur in Gedanken tat.
»Hier.« River flüsterte, weil der Film mittlerweile angefangen hatte. Er griff nach meiner Hand, drehte sie um und legte etwas hinein. »Das ist ein Lesezeichen für deinen Hawthorne.«
Ich blickte auf meine Handfläche. »Nein, ist es nicht«, flüsterte ich zurück. »Das ist ein Zwanzig-Dollar-Schein, der zu einem Elefanten gefaltet ist.«
River lächelte. »Origami ist cool.«
Ich nickte. »Stimmt. Aber die meisten Leute falten Papier, keine Geldscheine.«
River zuckte mit den Achseln. »Ich hatte gerade kein Origamipapier bei mir. Sollten dir jemals die Lebensmittel oder irgendetwas anderes ausgehen und ich bin nicht da, kannst du ihn einfach auffalten und ausgeben. Okay?«
»Okay«, wisperte ich, weil es mir ein bisschen peinlich war, und steckte das Lesezeichen in meine Rocktasche.
River nickte mir zu, dann zog er die Knie an, schlang die Arme darum und schaute sich den Film an. Er bewegte sich so geschmeidig wie ein schönes Raubtier, verdammt. Unwillkürlich musste ich an die vierzehnjährigen Jungs aus dem Sportunterricht an der Junior High zurückdenken, deren Knie viel zu dick für die aus ihren Shorts schauenden weißen Schenkel waren und die sich so ungelenk bewegten, als hätte sie jemand auseinandergenommen und wieder falsch zusammengesetzt.
River war anders als diese Jungs. Er brachte alles in mir ins Wanken, aber auf eine gute Art. River war … etwas vollkommen Neues.
Achtes Kapitel
Irgendwann in der Mitte des Films sprangen die Kinder auf und stürmten davon. Nach Hause ins Bett, vermutete ich. Ich war von Bogarts traurigen Augen, Ingrids kecker kleiner Nase, der frischen Nachtluft und dem sich niemals abnutzenden Zauber eines unter freiem Himmel gezeigten Films so gefangen, dass ich erstaunt war, als River beim ersten »Ich schau dir in die Augen, Kleines« aufstand.
Er beugte sich zu mir herunter, bis seine Lippen mein Ohr berührten. »Ich gehe mir mal kurz die Beine vertreten«, sagte er. »Bin gleich wieder da.«
Welcher Siebzehnjährige muss sich während eines zweistündigen Films mal kurz die Beine vertreten? , dachte ich, während ich ihm hinterhersah.
Statt gleich wieder da zu sein, blieb er fast eine halbe Stunde weg. Tick-tack. Tick-tack. Die Minuten verstrichen wie in Zeitlupe. Und dann saß er beim letzten »Ich schau dir in die Augen, Kleines« plötzlich wieder neben mir. Einfach so. Er erzählte nicht, wo er gewesen war und was er gemacht hatte, aber er nahm meine Hand und hielt sie während der ganzen Schlussszene, wogegen ich nichts einzuwenden hatte.
Als der Film zu Ende war, fehlte von Luke und Maddy jede Spur. Um uns herum liefen die Leute in der Dunkelheit auseinander und riefen sich gegenseitig zu Klassikern gewordene Casablanca -Zitate zu. River und ich waren die Letzten, die aufbrachen.
»Wo ist eigentlich hier in Echo der Friedhof?«, erkundigte sich River.
»Warum?« Ich packte die Reste unseres Picknicks in den Korb zurück und hängte ihn mir über den Arm.
»Ich würde ihn mir gern anschauen. Ich mag Friedhöfe.«
»Ich auch. Aber ich glaube, es ist verboten, sich nach Sonnenuntergang dort
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