Fuerchte nicht das tiefe blaue Meer
betrachten, die Luke und ich gemalt hatten. Seltsam. Warum malte mein Bruder wie ich und ich wie er, wenn wir in allen anderen Bereichen so grundverschieden waren? Trotzdem war mein Strich praktisch mit seinem identisch, begann als dünne, hastige Linie und gewann dann immer mehr an Kraft. Das … störte mich, weil ich mir die Frage stellen musste, ob Luke und ich uns womöglich ähnlicher waren, als ich gedacht hatte. So als würden wir auf dasselbe Ziel zusteuern und nur aus völlig unterschiedlichen Richtungen kommen.
»Ich musste für meine Eltern im Büchermobil herumfahren«, hauchte Sunshine Luke zuliebe mit ihrer Femme-fatale-Stimme, »und vertrocknete alte Jungfern, die ihre Häuser nicht verlassen, mit kitschigen Liebesromanen versorgen.«
»Habe ich dir schon mal gesagt, dass du der netteste Mensch bist, den ich kenne, Sunshine?«
Sie grinste, dann entdeckte sie Lukes Bild und kommentierte es mit begeisterten Ahs und Ohs.
»Also. Wo kann man in dieser Stadt gut Pizza essen?«, fragte River mich.
»Am Park gibt’s eine tolle Pizzeria«, antwortete ich. »Hast du Lust, hinzugehen?«
»Ja.« Ein Leuchten trat in seine Augen. »Am Park ist perfekt.«
»Perfekt wofür?«
»Wirst du schon sehen«, sagte er und lächelte sein schiefes Lächeln.
Die beste Pizza in ganz Echo gab es im »Lucca«, das von einer italienischen Familie betrieben wurde, die aus Luciano und Graziella Lucca und ihren drei Söhnen bestand. Soweit ich wusste, waren die Männer in der Familie für das Kochen zuständig, während Graziella Befehle erteilte und die ganze Zeit allora, allora rief. Als ich sie einmal fragte, was das hieße, behauptete sie, es sei der italienische Ausdruck für »Ich denke gerade« . Deswegen nahm ich an, dass es Graziella viel Nachdenken kostete, ihre Befehle zu erteilen.
Wir waren früh dran, weshalb das Restaurant noch leer war. Luke wählte für uns einen Tisch mit Blick auf die Parkanlage. Das Fenster stand offen und ließ eine angenehm laue Brise herein. Sunshine trug ein rosafarbenes Sommerkleid, das sich eng an ihren straffen Hintern schmiegte, und sogar ich hatte mich umgezogen und die Latzhose gegen ein schwarzes Seidentop und einen schwarzen Rock getauscht. Ich fühlte mich ziemlich hübsch. Die schräg stehenden Strahlen der Abendsonne tauchten alles in das goldene Licht, das ich immer schon unglaublich romantisch fand, zumal es Rivers dunkelbraune Haare zum Schimmern brachte.
Am Park ist perfekt, hatte er gesagt.
Ich sah mich im Restaurant um, schaute auf den Park hinaus und betrachtete dann River. Er lehnte sich in seinem Stuhl zurück und hatte die Arme hinter dem Kopf verschränkt, als wollte er sagen: Es gibt nichts, worüber du dir hier Sorgen machen musst, Vi … Ich bin total entspannt und hecke keine Streiche aus …
Seine Lässigkeit ging mir ziemlich auf die Nerven. Aber dann bemerkte ich den gelben Farbfleck auf seinem rechten Unterarm und mein Unmut … schmolz dahin.
Ich bestellte eine Margherita mit Pesto und keine zwanzig Minuten später standen unsere Pizzas auf dem Tisch – mit knusprigem dünnem Boden und geschwärzten Stellen von dem mit Holz befeuerten Steinofen. Köstlich.
Während wir aßen, kam Graziella an unseren Tisch und hielt uns auf Italienisch einen langen Vortrag, den keiner verstand. Keiner außer River, der – genau wie ich es vermutet hatte – Italienisch konnte und ihren Wortschwall mit einer fließend gesprochenen Bemerkung parierte, die sie zum Lachen brachte. Dann rief sie »Gianni!« , worauf ihr dunkelhaariger Sohn sofort angelaufen kam, wieder in die Küche geschickt wurde und mit einer großen Schale Pistazien-Eis für uns alle zurückkehrte.
Ich erinnerte mich noch gut daran, dass Gianni und ich nebeneinanderstanden, als in der sechsten Klasse das Foto fürs Jahrbuch aufgenommen worden war. Der Anblick seiner glatten braunen Arme neben meinen weißen hatte mich damals unendlich fasziniert. Selbst als wir aufgefordert wurden, in die Kamera zu schauen, starrte ich weiter Gianni an. Aber als er mich dabei ertappte, hatte er mich einfach angelächelt, und seitdem mochte ich ihn. Außerdem war er der Einzige aus meiner Klasse, der mich immer grüßte.
Gianni quetschte sich gegenüber von River und mir neben Sunshine und Luke auf die Bank und legte die Ellbogen auf den Tisch. Sunshine lächelte triumphierend, aber Giannis Blick war auf mich gerichtet. »Vor ein paar Tagen ist die neue Ausgabe vom Fresh Cup Magazine gekommen«, sagte er. Obwohl
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