Fuerchte nicht das tiefe blaue Meer
existieren. Existenzielle Krise und so weiter.« Er warf mir kurz einen Blick zu, bevor er sich wieder den Leinwänden zuwandte. »Wenn du willst, kannst du an der weißen Version mitarbeiten.«
Obwohl ich nichts sagte, freute ich mich wahnsinnig darüber, dass mein Bruder wieder malte, und daran, wie River mir hinter Lukes Rücken zuzwinkerte, merkte ich, dass er es spürte.
Ich sah mich um. Die Sonne strömte durch die kleinen Fenster in den Raum und beleuchtete die überall herumstehenden, unvollendeten Bilder unserer Eltern, die Farbspritzer auf dem Boden und Luke, der immer noch in dem Kasten mit den Farben kramte. Ich atmete den leicht bitteren Geruch des Terpentins, den öligen Duft der Farben und die frische Meeresbrise ein und fragte mich, ob es vielleicht ein Fehler von mir gewesen war, mit dem Malen aufzuhören.
Mein Blick fiel auf ein noch nicht fertiggestelltes Porträt meiner Mutter. Es war kein Selbstporträt – ihre lange Nase und ihre verträumten Augen waren eindeutig von meinem Vater gemalt worden. Ich erkannte immer sofort, welches Bild von wem stammte. Mein Vater hatte einen klareren, entschlosseneren Strich und benutzte dunklere Farben als meine Mutter. Sie war Chagall oder Renoir, mein Vater war … einfach er selbst. Vermutlich war er von beiden der wahre Maler.
River schlenderte langsam durch den Schuppen und sah sich die alten Bilder an. Er sah so schön und anmutig aus wie immer und lächelte mit seinem geschwungenen Mund, aber ich spürte wie meine friedvolle Stimmung sich verflüchtigte, während ich ihn beobachtete. Unsere nächtliche Unterhaltung in der Küche war mir immer noch sehr präsent und verdrängte das reale, warme Sonnenlicht, das in den Raum strömte.
Ich sah wieder den riesigen Teufel mit seinen roten Augen vor mir, der hinter River erschienen war. Meine Kopfhaut kribbelte, und ich schauderte, als wäre mir kalt, obwohl ich gar nicht fror. River bemerkte es, das sah ich genau, sagte aber nichts. Stattdessen griff er sich einen Malkasten mit schon leicht vertrockneten Acrylfarben und zeigte dann auf die größte noch unbemalte Leinwand, die an der Wand lehnte. »Ist die da noch frei? Mein künstlerisches Talent ist so gewaltig, dass es für seine Entfaltung eine genauso gewaltige Leinwand braucht. Oder heißt es Maltuch? Ich bin mir nicht ganz sicher, wie der Fachbegriff lautet.«
Die riesige Leinwand, auf die River ein Auge geworfen hatte, war einmal für ein Familienporträt bestimmt gewesen. Seit ich denken konnte, hatte meine Mutter davon gesprochen, uns alle vier malen zu wollen, und war dann vor vielen Jahren mit dieser Leinwand nach Hause gekommen. Und jetzt stand sie immer noch hier.
»Klar«, sagte ich, ohne ihn anzusehen. »Tu dir keinen Zwang an.«
River dachte kurz nach, dann stellte er den Malkasten auf den Boden und griff nach einem Eimer Fassadenfarbe, die meine Eltern manchmal als Grundierung benutzten. Er hebelte den Deckel ab, rührte mit einem Holzstab gründlich um und steckte die Hand in die Farbe. Als er sie wieder herauszog, war sie gelb.
»Jackson Pollock.« Er lächelte mich an. »Die einzige mögliche Art zu malen.« Er holte mit geballter Faust aus, öffnete sie und gelbe Farbe flog auf die Leinwand.
Ich griff nach einem Pinsel.
Siebzehntes Kapitel
River verbrauchte drei Eimer Farbe für seine Pollock-Hommage. Ich betrachtete die blauen, gelben und schwarzen Kleckse auf der Leinwand, bis River sich hinter mich stellte, mir eine immer noch farbverschmierte Hand auf den Rücken legte und Moms Latzhose neue bunte Flecken hinzufügte. »Das ist ein Porträt von dir, Vi. Blaue Augen, gelbe Haare, schwarze Gedanken.«
»Deswegen ist es so hässlich.« Luke lachte laut.
»Lass deinen Pollock-Hass nicht an unserem Gast aus.« Ich ging zu dem kleinen Spülbecken, um meine Pinsel auszuwaschen. »Luke hält nicht viel von abstraktem Impressionismus«, sagte ich über die Schulter zu River. »Und das ist noch freundlich ausgedrückt. Mom geht es genauso. Dabei hat er sich doch bloß als logische Entwicklung aus dem …«
»Pizza.« Luke stand auf und streckte sich. »Ich brauche dringend eine Pizza, bevor ich Vis Ergüssen über Kunst zuhören kann.«
»Ich auch«, sagte Sunshine, die auf einmal mit einem Glas Eistee in der Hand in der Tür stand.
»Wo hast du gesteckt?«, fragte ich. »Wir haben hier drin großartige Kunstwerke geschaffen.« Ich stellte mich vor die beiden Staffeleien und trat ein paar Schritte zurück, um die Bilder zu
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