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Fuerchte nicht das tiefe blaue Meer

Fuerchte nicht das tiefe blaue Meer

Titel: Fuerchte nicht das tiefe blaue Meer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: April Genevieve Tucholke
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und folgte seinem Blick.
    Im Park hockten zwei dunkelhaarige Mädchen unter einem Baum und die eine las der anderen laut aus einem Buch vor. Auf dem kleinen Spielplatz ein paar Meter weiter saß ein schmächtiger Junge, der schulterlange rote Haare hatte und einen Cowboyhut trug, auf der Schaukel und beobachtete eine Mutter mit Zwillingen, die vorbeischlenderte. Der Popcorn-Mann Jimmy war hinter seinem Stand eingeschlafen und sein Kinn ruhte auf seiner Brust. Alles war friedlich und ruhig. Ich atmete tief ein und entspannte mich wieder.
    Und dann sah ich ihn. Daniel Leap. Jacks Vaters. Betrunken torkelte er über den Platz, blieb taumelnd stehen und zerstörte die Idylle.
    Ich spürte, wie River neben mir unruhig wurde. Er beobachtete Jacks Vater ebenfalls. Seine Augen waren zu schmalen Schlitzen verengt und auf seinem Gesicht lag ein konzentrierter Ausdruck. So konzentriert, dass seine Kaumuskeln zuckten.
    Sein Gesichtsausdruck machte mir Angst. Panik zerrte an mir, wie Wasser an einem Ertrinkenden zerrt, bis es mir die Kehle zuschnürte und ich beinahe würgen musste. Gleich würde etwas passieren. Sunshine und Luke flirteten und bekamen nichts mit. River griff unter dem Tisch nach meiner Hand, aber seine Haut fühlte sich klamm an, und meine Finger erschlafften unter der Berührung. Ich beobachtete, wie Jacks Vater schwankend auf dem Platz stand. Wie er in die Hosentasche fasste und etwas hervorzog, das in der untergehenden Sonne silbern funkelte.
    Ich beobachtete, wie er es an seinen Hals hob.
    Und es sich quer über die Kehle zog.
    Nichts passierte. Die Sekunden vergingen. Eine. Zwei. Drei.
    Und dann spritzte das Blut.
    Es strömte an seinem gelben Hemd hinunter, wurde vom Stoff aufgesogen und färbte ihn karmesinrot.
    Jacks Vater wurde blass. Die unnatürliche Blässe stand in krassem Kontrast zu seinem mittlerweile dunkelroten Hemd. Er blickte erstaunt auf den silbernen Gegenstand in seiner Hand, als würde er ihn zum ersten Mal sehen, und ließ ihn anschließend fallen.
    Die Mutter mit den Zwillingen schrie. Die beiden dunkelhaarigen Mädchen schrien. Jacks Vater fiel auf die Knie. Eine Sekunde verstrich. Zwei. Dann kippte er zur Seite und blieb reglos liegen.
    Sunshine fuhr erschrocken herum und starrte aus dem Fenster, als sie die Schreie hörte. Ihr entfuhr ein entsetztes Keuchen. Luke sprang auf und hielt sich fassungslos an der Tischkante fest.
    Ein Mann hatte sich vor meinen Augen die Kehle aufgeschnitten. Vor den Augen der ganzen Stadt. Und River hatte ihn dazu gebracht, das wusste ich mit absoluter Sicherheit. Mit derselben Sicherheit, mit der ich aufgrund der salzigen Luft wusste, dass das Meer in der Nähe war. Mit der ich Luke an seinem Schritt erkannte, wenn er in Citizen Kane die Treppe hochstieg. Mit der ich wusste, dass Rivers Arme mich hielten, wenn er tief und fest schlief.
    Sunshine wimmerte leise und ich zitterte am ganzen Körper.
    Rivers Miene war ausdruckslos. Er wirkte nicht schuldbewusst oder beschämt. Ich entriss ihm meine Hand, sprang auf und rannte hinaus auf den Platz.
    Als ich die Frau mit den Zwillingen erreicht hatte, blieb ich stehen. Sie hatte mittlerweile aufgehört zu schreien und hielt ihren Söhnen die Augen zu, damit sie nicht sahen, was zu ihren Füßen lag.
    Ich starrte auf den klaffenden Schnitt in Daniel Leaps Kehle, auf sein blutbesudeltes Hemd, auf die Lache, in der er lag und die das Gras schwarz färbte.
    Links von mir blitzte etwas auf.
    Eine Rasierklinge.
    Im nächsten Moment stand Sunshine neben mir. Sie stöhnte gequält auf, während sich um uns herum eine kleine Menschenmenge bildete. Die beiden Mädchen. Der Popcorn-Mann. Der Junge mit dem Cowboyhut. Luke. Graziella. Gianni.
    Ich warf einen letzten Blick auf den am Boden liegenden leblosen Körper und ging ins Restaurant zurück.
    River saß immer noch am Tisch und lächelte mich an, als wäre alles in Ordnung. Als wäre alles in bester Ordnung.
    Ich drehte mich um, verließ das Lokal wieder und machte mich auf den Nachhauseweg, kehrte auf halber Strecke aber um und lief in die Stadt zurück.
    Jack saß bei sich zu Hause in der spärlich eingerichteten, dunklen Küche und starrte vor sich hin, als würde er darauf warten, dass irgendetwas Schreckliches passierte. Und es war ja tatsächlich etwas Schreckliches passiert.
    »Einmal bin ich von zu Hause weggelaufen, als mein Dad eine ganze Woche lang betrunken war«, sagte er, nachdem ich, ohne anzuklopfen, ins Haus getreten war und ihn in der Küche gefunden

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